piwik no script img

Katrin Seddig Fremd und befremdlichWarum findet ihr abgehackte Köpfe schön?

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Der deutsche Wald ist in weiten Teilen ein junger, unreifer Wald. Alte, der potenziellen natürlichen Vegetation entsprechende Laubwälder (>160 Jahre) nehmen lediglich 2,4 Prozent der deutschen Waldfläche ein. Das fast vollständige Fehlen fortgeschrittener, vorratsreicher Altersphasen ist aus Naturschutzsicht und vor allem im Hinblick auf die Umsetzung der Biodiversitätsziele als dramatisch zu bezeichnen.“ (Greenpeace, „Der deutsche Wald im Spiegel der Bundeswaldinventur“ 2016)

Im Kreis Plön, da lag die Tage ein Hirsch auf der Straße, dem fehlte der Kopf. Noch in meiner Kindheit ist es ja sehr beliebt gewesen, sich Geweihe an die Wand zu hängen. Unser damaliger Nachbar – wir wohnten im brandenburgischen Wald, und wir hatten nur diesen einen Nachbarn –, der war Jäger, und bei ihm zu Haus, da gab es eine ganze Wand voller Geweihe. Das war sein Stolz. Er hatte ja all diese Tiere, die zu den Geweihen gehörten, selbst erlegt. Manchmal, wenn er großzügig war, verschenkte er auch solch ein kleineres Exemplar, ein Rehgeweih zum Beispiel, zum Geburtstag.

Meine Eltern hatten so ein kleines Geweih in der Veranda hängen. Man konnte die Spitzen anfassen, sie tätscheln, die Schädel berühren. Es war eine Zurschaustellung von Tod. Ein Hirschgeweih ist freilich recht eindrucksvoll. Es gibt manchmal in alten Schlössern solche Hirschköpfe. Da ist dann der ganze Kopf präpariert, samt Geweih, und solch ein Schmuck scheint auch das Begehren des Kopfabtrenners gewesen zu sein. Einen echten Hirschkopf in seinem Wohnzimmer, das wollte er haben.

Als ich ein Kind war und diese ganzen Geweihe im Haus unserer Nachbarn betrachtete, da waren sie mir ein Rätsel. Warum, dachte ich, findet er das schön? Aber ich ahnte es schon, dass es um einen Triumph ging, um einen Stolz, auch wenn der Feind, dessen Sieg hier bezeugt war, ein Reh war. Ein Reh kann ja eigentlich dem Jäger kein Feind sein. Ein Reh kann nur weglaufen, und der Sieg, den der Jäger davonträgt, der beruht auf langem Warten, gutem Zielen, Glück und Zufall. Solchen Dingen.

Und dann ist es so ein Stolz bei diesen Jägern, wenn sie was erschießen, das ein besonders gutes Geweih hat. Das kommt mir einigermaßen pervers vor, auch die Zurschaustellung von Schädeln. Aber nehmen wir jetzt also diesen Menschen, der einen Hirsch, der gar nicht durch Geschicklichkeit oder Ausdauer eines Jägers getötet wurde, sondern durch etwas, was in viel größerem Ausmaß tötet als die Jägerschaft und den Menschen hiervon nicht ausschließt, den Straßenverkehr.

Der Straßenverkehr ist zum Töten nicht erfunden worden, aber das Töten fällt nebenbei so ab. Der Straßenverkehr könnte sich eine ganz hübsche Wand machen, mit all den Schädeln der durch ihn Getöteten. So nebenbei wird auch eine beachtliche Menge an Wildbret erlegt. Und da denkt sich ein am Straßenverkehr Beteiligter vielleicht nicht zu Unrecht, er möchte mal, als ein solcherart tendenziell ja auch am Töten Beteiligter, eine kleine Trophäe mit nach Hause nehmen. Kann man es ihm verdenken?

Unser Nachbar begriff seine Geweihe als Zurschaustellung seiner Liebe zur Natur

Unser Nachbar wollte seine Geweihe übrigens nicht mit seiner Hingabe an den Tod erklärt sehen, sondern begriff sie als eine Zurschaustellung seiner Liebe zum Tier und der Natur. Er war sehr natur- und heimatverbunden. Es gibt viele seiner Art in Deutschland, die hängen sich ihre Heimat in Form von Geweihen oder Ölgemälden an die Wand, die sehen sie sich in Form von Natur- und Heimatfilmen im Fernsehen an. Die heile und ganze Natur.

Und dann gibt es die, deren Naturverbundenheit sich weniger in Schädeln oder Filmen ausdrückt, die gehen in echt in den Wald, die schützen einen der letzten alten Wälder mit ihren eigenen Körpern, und solche werden dann von diesen Fernseh- und Schädelheimatverbundenen als Extremisten oder sogar Terroristen bezeichnet. Denn der heimatverbundene Deutsche hat seinen deutschen Wald zum größten Teil platt gemacht. Er erzählt gern was vom Regenwald, der gerettet werden muss, aber hier bei sich hat er nichts gegen Abholzung, wenn es zum Beispiel für den Kohleabbau sein muss.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen