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Katrin Seddig Fremd und befremdlichDie Bahn will das Trinken in Regionalzügen verbieten, was wird nun aus dem Feierabendbier?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Betrunkene in der Regionalbahn, sie sind ähnlich unangenehm wie Betrunkene in der S-Bahn, im Bus, überall. Sie sind vor allem schwierig, weil sie sich selbst, ihre eigene Bedeutung, falsch einschätzen. Sie haben eine verfälschte Wahrnehmung, dazu oft einen ungehemmten Drang, anderen Menschen etwas von sich zu geben, ihnen etwas zu sagen, ihnen etwas aufzuzwingen. Betrunkene wollen ihr Inneres oft über andere Menschen ausgießen. Sie sind mutig und fühlen sich frei, viel freier als all die anderen nicht betrunkenen Menschen.

Besonders mutig und frei sind Betrunkene in Gruppen, in Rudeln, in denen sie sich der Herausforderung gegenüber sehen, fröhlich und lustig zu sein. Dieser Druck, dem sich schon der nüchterne Mensch ungern beugt, löst im Betrunkenen eine Aggression aus, die er vielleicht auch im nüchternen Menschen auslöst, aber der nüchterne Mensch ist in der Regel daran gewöhnt, seine Aggressionen zu unterdrücken oder an passender Stelle, gegenüber Schwächeren, dem Partner, den Angestellten auszuleben. Der Betrunkene hingegen ist mutig, er bringt die durch den Zwang zum Lustigsein ausgelöste Aggression sofort an den Mann, ganz spontan, an Ort und Stelle, zum Beispiel in der Regionalbahn.

So sah ich mich in der Vergangenheit Junggesellenabschieden oder Fangruppen in der Bahn ausgesetzt, denen man nicht so leicht, wie auf den Straßen von St. Pauli, durch zum Beispiel das Wechseln der Straßenseite, entziehen konnte. Man steckt mitten drin, man muss sehen, wie man damit umgeht, vielleicht eines der Minifläschchen mittrinken, um nicht anzuecken, oder die Braut antatschen, einen sexistischen oder rassistischen Scherz machen, oder über einen sexistischen oder rassistischen Scherz lachen. Man muss laut vorgetragenes Liedgut von zweifelhaftem Inhalt anhören, Lieder aus vergangenen Zeiten, Helene-Fischer-Lieder aus der jetzigen Zeit, Heimat- und Fußballvereinlieder.

Mit dem soll jetzt Schluss sein, denn die Deutsche Bahn will jetzt endlich auch das Trinken in den Regionalzügen verbieten. Die Privaten haben es vorgemacht. Niedersachsen soll das erste Bundesland werden, in dem die Bahn ab dem ersten Januar das Trinken auf ausgewählten Strecken verbieten will, sanktioniert werden soll das durch ein Strafgeld in Höhe von 40 Euro. „Wie findest du das?“, frage ich meinen Freund. Er zuckt mit den Schultern. Er findet, der Arbeiter solle auf dem Heimweg sein Feierabendbier trinken dürfen.

Das Feierabendbier. Mein Vater hat es geliebt, selbst als er keinen Feierabend mehr hatte, weil er auch keinen Arbeitstag mehr hatte, trank er sein Feierabendbier, nie allerdings hätte er es in einem öffentlichen Verkehrsmittel getrunken. „Wenn das kommt, dann fahre ich mit dem Auto“, sagt einer im Internet dazu. War ihm das Trinkendürfen im Zug der einzige Grund, mit der Bahn zu fahren? Tendenziell belästigen Betrunkene andere Menschen mehr als nüchterne, man kann sich dem Problem der Belästigung in Zügen also über das Verbot des Alkoholtrinkens durchaus nähern.

Der Bahn gehören die Züge, sie muss sie reinigen lassen, sich den Beschwerden stellen, das Personal selbst muss sich mit den Betrunkenen herumschlagen. Ich kann bei mir zu Hause selbstverständlich Betrunkenen den Zutritt verwehren, wenn ich das will. Die Bahn kann das auch, wenn ihr das passt, wenn sie das vorteilhaft findet. Ist aber nun das Recht des Feierabendbiertrinkers, seine Biertrinkfreiheit, niedriger einzuschätzen als das Recht des Reisenden, nicht belästigt zu werden? Würde ich, um täglich ein Feierabendbier trinken zu können, ein bisschen Belästigung ab und zu ertragen?

Der eine meint so, der andere so. Die Bahn könnte natürlich die, die sich schlecht benehmen, auch so rausschmeißen, ohne Flasche in der Hand. Sie sollen andere Menschen in Ruhe lassen. Überhaupt sollten sich Menschen besser benehmen. Auch nüchterne Menschen sollten sich besser benehmen. Friedlicher, rücksichtsvoller. Wir sollten uns alle besser benehmen.

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