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■ Katholischer StandpunktEin Meilenstein

Was ist das für ein Text, der am Sonntag unterschrieben wird? Ein Text, der zeigt, wie der Vatikan die Lutheraner über den Tisch zieht? Oder wird die katholische Kirche dem Protestantismus ausgeliefert?

Das Schöne an den Dokumenten ist, dass alle gewonnen haben. Sie sind eben kein Kompromiss. Das Papier ist das Ergebnis langer gemeinsamer Kommissionsarbeit. Man hat sich in der Sache geeinigt. Schon die weniger stringenten Texte des Konzils haben das kirchliche Leben grundlegend erneuert – weil die Christen im Alltag nicht einem Textfetischismus huldigten, sondern dem Kern der Reform folgten.

Die katholischen und protestantischen Kirchenmitglieder sollten nun genauso verfahren. Sie werden ihre Beziehungen zueinander auf allen Ebenen ihres kirchlichen Lebens grundlegend neu gestalten. Wenn sie dies tun, damit die Wiederherstellung künftiger Gemeinschaft beider Kirchen möglich wird, dann wird dieses kirchenhistorische Ereignis ein Meilenstein werden. Dann wird es reichen, geistlichen Gewinn für beide Kirchen abwerfen. Denn sie werden dann nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander den Glauben bezeugen können. Dabei wird keine Seite der anderen bedingungslos ausgeliefert.

Der Rechtfertigungsglaube ist das Herzstück der christlichen Botschaft. Seine Wahrheit besteht darin, dass Gott in Jesus Christus ein für allemal sein Ja, von dem er niemand ausschließt, zu allen Menschen gesprochen hat. Dessen teilhaftig zu werden macht er weder von bestimmten menschlichen Leistungen abhängig, noch knüpft er es an kirchliche Vor- oder Nachbedingungen. Dies hat die reformatorische Christenheit in ihrer Lehre stellvertretend für die ganze Christenheit zu bezeugen versucht. Von dieser Wahrheit ist heute auch die katholische Kirche ergriffen. Auf dem Boden des Rechtfertigungsglaubens wird sie nun mit der wichtigen Folge konfrontiert, die universale Verbindlichkeit ihres Lehramts-, Amts- und Kirchenverständnisses für alle Christen einer Revision unterziehen zu müssen. Zwar beschäftigen sich die Augsburger Texte mit dieser Folge noch nicht. Aber sie fordern klar, dies künftig zu tun.

Das Ziel des nun gemeinsam gegangenen Weges ist nicht, eine Einheitskirche zu stiften. Auch künftig bleiben die Kirchen selbständig. Aber sie werden jetzt in der Lage sein, miteinander in voller kirchlicher Gemeinschaft zu leben. Es wird eine Gemeinschaft sein, in der die sonstigen Verschiedenheiten (etwa: Welche Rolle spielen die kirchlichen Ämter) miteinander versöhnt sind. Sie werden nicht länger die Kraft haben, die Christenheit zu spalten.

Prof. Johannes Brosseder

Der Autor, Theologe an der Uni Köln, ist einer der profiliertesten katholischen Luther-Forscher. Er veröffentlichte mit zwei evangelischen Theologen das Buch: „Überwindung der Kirchenspaltung“.

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