Katholikentag 2012: Vertrauen ist kaum aufzubauen
Auf dem Katholikentag ist spürbar, dass die Kirche wankt. Angesichts des Missbrauchskandals und großen Reformbedarfs artikuliert sich eine wütende Basis.
MANNHEIM taz | Dass es irgendwie nicht ganz rund läuft bei diesem Katholikentag, wird schon bei der Eröffnungsveranstaltung deutlich: Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, das das große Christentreffen organisiert, will anfangen mit dem traditionellen Gruß „Gelobt sei Jesus Christus“ - worauf ihm die Tausenden auf dem Marktplatz in Mannheim antworten sollten: „In Ewigkeit, Amen!“
Aber Glück, ein ehemaliger Spitzenpolitiker von der CSU in Bayern, versaut die Sache ziemlich. Er sagt, dass man schon seit über 150 Jahren mit dem Gruß „Gelobt sei Jesus Christus“ die Katholikentag beginne – und fast niemand unter den Tausenden antwortet ihm, ob dieses historisch richtigen, aber nicht als Aufforderung verstandenen Hinweises.
Peinlich, peinlich – aber wie soll es auch anders sein in einer katholischen Kirche, die zwar mit 25 Millionen Mitgliedern in Deutschland und einer eindrucksvollen rechtlichen und institutionellen Ausstattung stark und mächtig erscheint, aber innerlich doch wankt, und zwar ganz gehörig. Da ist der deutsche Papst in Rom, der einen restaurativen Kurs fährt, auf dem ihn nur wenige im Kirchenvolk der Bundesrepublik folgen wollen.
Da ist der Missbrauchsskandal, der Tausende Menschen für ihr Leben gezeichnet und die Verlogenheit einer ganzen Bischofsgeneration – mit wenigen Ausnahmen – deutlich gemacht hat. Da sind mittlerweile unüberhörbare Forderungen nach Reformen und mehr Beteiligung der Laien in der Kirche, die aber von fast allen deutschen Oberhirten seit Jahren um der Einheit mit Rom willen beiseite gewischt werden.
„Neuen Aufbrauch wagen“
Wie soll da Freude, Eintracht und Aufbruchsstimmung aufkommen, auch wenn das Motto des Kirchentages genau dies fordert: „Einen neuen Aufbruch wagen“? Der ganze Unmut, der an der katholischen Basis danach drängt, sich zu artikulieren, ist in diesen Tagen in Mannheim zu spüren, denn hier trifft man ja wirklich die Leute, die es noch in der Kirche hält, die Engagierten, denen diese Glaubensgemeinschaft trotz allem nicht egal ist.
Im überfüllten Gustav-Mahler-Saal des „Rosengartens“, einem ziemlich scheußlichen Jugendstil-Konzerthaus am Wasserturm in Mannheim, ist es Pater Klaus Mertes, der viel von dieser Wut ausdrücken kann: Der Jesuit, der den Missbrauchsskandal in seinem Orden und in seiner Kirche erstmals öffentlich gemacht hat, sagt: „Da spricht einer von Aufbruch, aber ist sehr müde.“
Und: Mit Gott habe die Vertrauenskrise in der Kirche, das Misstrauen untereinander, die Leitungskrise und die scharfen Worte untereinander,die Lagerbildungen und Auftrittsverbote „herzlich wenig zu tun“. Manches erinnere ihn an den Geisterfahrer, der Tausende Autos entgegen komme sehe und sich dann einrede: „Ich schwimme als Letzter gegen den Strom.“
Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki hat immerhin den Mut, sich diesem Unmut seines Kirchenvolkes zu stellen – aber erntet fast Buh-Rufe, als er beispielsweise sagt, dass die Anzahl der Priester doch relativ an der Zahl der Gläubigen gemessen, nicht niedriger sei als etwa in den Fünfziger Jahren, und das, obwohl alle im Saal wissen, dass die Gemeinden immer größer werden, der Pfarrer langsam ein zwar gern gesehener, aber seltener Gast zu werden droht.
Familienzugehörigkeit
Geradezu bejubelt werden dagegen einfache Katholiken wie beispielsweise Eva-Maria Kiklas von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“, die fordert, die Laien müssten nun einfach tun, was sie spirituell für richtig hielten, wenn denn die Bischöfe nicht hören wollten. Dennoch sagt sie: „Die katholische Kirche ist wie meine Familie – ich kann sie unmöglich finden, aber ich gehöre zu ihr.“
Noch schärfer fasst dies der Musiker Daniel Dickopf von den „Wise Guys“, der sagt: „Ich bin nicht wegen dem Papst und den Bischöfen in der katholischen Kirche, sondern trotz ihnen.“ Er spüre bei den Oberhirten immer noch „eine Arroganz – das wird nicht lange gut gehen“. Das Publikum klatscht lange und laut.
Überraschend war, dass wenige Minuten nach dieser überfüllten Podiumsdiskussion im gleichen Saal eine zweite Veranstaltung mit nicht weniger Brisanz anstand – aber fast zwei Drittel der Stuhlreihen leer blieben: Dabei trafen hier erstmals auf einem Katholikentag ein Missbrauchs-Betroffener, Matthias Katsch, von der Initiative „Eckiger Tisch“ und ein Bischof, nämlich der Trierer Bischof Stephan Ackermann, öffentlich aufeinander, um über dieses größte und schmerzlichste Verbrechen in der Geschichte der deutschen katholischen Kirche zu sprechen.
Katsch sprach in wohl gesetzten, aber bitteren Worten über die Verdrängung und Vertuschung des Skandals durch die katholische Hierarchie, das „zweite Verbrechen“ nach der Tat selbst. Doch die Opfer von damals störten heute viele nur noch. Nach der Aufklärungswelle des Jahres 2010 hätten viele offenbar schon wieder von dem Thema genug.
Ackermanns Aussagen sind zu schwammig
Und die vergleichsweise geringe Menge an Zuhörern scheint ihm recht zu geben. Bischof Ackermann, der der „Missbrauchsbeauftragte“ der Bischofskonferenz ist, verstand es nicht, das Misstrauen von Katsch und vielen Gläubigen im Publikum aus der Welt zu räumen.
Zu schwammig waren Ackermanns Aussagen, dass man doch vielleicht, irgendwie, irgendwann, womöglich kommendes Jahr die bischöflichen Richtlinien gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland verschärfen wolle, ein bisschen, ja, vielleicht auch mehr.
Auch das war peinlich, denn Bischof Ackermann hat in seinem eigenen Bistum wie jüngste Fälle zeigen, nicht so hart durchgegriffen, wie es Experten anraten, hatte allerdings Glück, dass es bis dato dadurch offenbar nicht zu neuen Missbrauchs-verbrechen gekommen ist.
Vertrauen ist so kaum aufzubauen. So ist vom großen „Aufbruch“, den sich die Veranstalter und die Bischöfe in Mannheim, für ihre Kirche erwarten, kaum etwas zu erleben. Aber der Kirchentag dauert ja noch bis Sonntag. Vielleicht bringt der Heilige Geist bis dahin etwas in Wallung. Pfingsten ist ja nicht mehr weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!