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Katharina J. Cichosch High & LowNässende Kunstwerke

Pfützen auf dem Ausstellungsboden ist man schon gewohnt. Sie können vorkommen im Museum Zollamt MMK, sicher verbrieft zum Beispiel bei Bunny Rogers, die in ihrer Schau „Pectus Excavatum“ 2019 unter anderem einen riesigen, schwach floureszierenden, vermeintlich gerade erst gestrandeten Tiefseekalmar in den Ausstellungsraum verfrachtet hatte. Wer sich zur richtigen Zeit dort aufhielt, konnte Zeuge werden, wie das Aufsichtspersonal die Wasserpfützen um das Kunsttier regelmäßig auffrischte.

Das ehemalige Frankfurter Hauptzollamt, 1927 von Werner Hebebrand erbaut, scheint gut geeignet für solch ortsspezifische Verwandlung. Was nicht unbedingt den gängigen Annahmen entspricht: Mit Treppenaufgang, Säulen im Raum, großen Fenstern und Steinwänden ist dies hier kein neutraler Raum. Gerade deshalb erweist er sich oft als Glücksgriff – international erfolgreiche Künstlerinnen wie Helena Uambembe, Mire Lee oder Precious Okoyomon haben ihn in den letzten Jahren bespielt.

Noch bis zum 2. Februar lässt sich hier Akosua Viktoria Adu-Sanyahs Arbeit entdecken, und auch in der finden sich also Pfützen auf dem Ausstellungsboden. Man kann sich diesmal aber nicht sicher sein, ob man gerade durch Wasser oder doch Fotochemie watet. Denn die 1990 geborene Künstlerin agiert in ihrer Installation mit klassischen Elementen aus der Dunkelkammer: meterlangen Fotopapieren, Apparaturen, Flüssigkeiten. Ihr Umgang hiermit ist aber betont unorthodox. Adu-Sanyah arbeitet sich mit ganzer Kraft an ihrer Materie ab: Die belichteten Silbergelatine-Papiere zerknüllt sie, räumt sie aus dem Weg, stopft sie in Müllsäcke, nimmt sie für die Frankfurter Ausstellung wieder heraus und tackert sie auf große Holzrahmen wie zum Bespannen einer Leinwand.

Eigentlich wollte sie Malerin sein, dann hat sich Akosua Viktoria Adu-Sanyah aber der analogen Schwarzweiß- und später der Farbfotografie zugewandt. Beide nutzt sie experimentell.

Katharina Cichosch lebt in Frankfurt am Main und schreibt hier regelmäßig über Kunst.

Im Künstlerinnengespräch im Begleitbooklet spricht sie über ihre „ganz unschuldige Liebe zum Material“ der Fotografie und über dessen klassischen Prozess der Bilderzeugung, die sie als limitierend empfindet. Derweil sie selbst ausgiebig Zeit in der Dunkelkammer verbringt: Während der Coronapandemie nahm Adu-­San­yah an zwei Ozeanexpeditionen durch Patagonien teil und fertigte an Bord zahllose Abzüge an. Während dieser Zeit verstarb der Vater der deutsch-ghanaischen Künstlerin. Die prozesshafte Arbeit in der Dunkelkammer ging für die Künstlerin parallel zur Trauer. Der Ausstellungstitel im MMK Zollamt, „Corner Dry Lungs“, steht für die leergeweinten Lungen. Die Ausstellung will so auch eine Versuchsanordnung darüber sein, was offengelegt werden kann und was im Verborgenen bleibt. Es ist wohl ein gutes Zeichen, wenn die offiziellen Ausstellungsansichten kaum mehr über das Werk verraten können, als es sich selbst im Moment erschließen soll.

Klassische Elemente aus der Dunkelkammer kommen in der Ausstellung zum Einsatz, auch Flüssigkeiten Foto: Akosua Viktoria Adu-Sanyah

Nicht zuletzt kann die Ausstellung eine Essenz des Prinzips Dunkelkammer vermitteln, ihrer technischen, chemischen, räumlichen Begebenheiten. Aber auch ihrer emotionalen, tief persönlichen Qualitäten, die jene für die Künstlerin beinhaltet. Eine kritische Hommage an dieses fantastischen Teufelszeugs namens analoge Fotografie. Einem geradezu körperlichen Gegenüber.

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