piwik no script img

Archiv-Artikel

Kater in Calgary

War da noch was? In Kanada bestimmen Eiskunst- und Eisschnellläufer ihre Weltbesten. Aber wen interessiert das wenige Wochen nach Turin noch?

AUS CALGARY DORIS HENKEL

Da ist er also wieder, der gute, alte Saddledome. Bei den Olympischen Spielen anno 88 konnten sich die Gäste aus Europa nicht satt sehen an der Arena mit ihren 17.000 Plätzen unterm eindrucksvollen Satteldach. Und jeden Abend war die Hütte voll. 17.000 sahen beim Duell der roten gegen die schwarze Carmen den Sieg von Katarina Witt gegen Debi Thomas, 17.000 waren fasziniert vom Kampf Brian gegen Brian der Kandidaten Boitano und Orser, und wenn die Arena doppelt so groß gewesen wäre, dann wäre sicher auch kein Sitz frei geblieben.

Aber diesmal sieht es so aus, als würde selbst die bekanntermaßen große Popularität des Eiskunstlaufs in Kanada nicht genügen, um den Saddledome zu füllen. Mit durchschnittlich 14.000 Zuschauern pro Abschnitt hatten die Veranstalter der heute in Calgary beginnenden Weltmeisterschaften kalkuliert, aber nach dem Vorverkauf zeichnet sich ab, dass es dazu kaum reichen wird. Zum vollen Haus fehlen die Stars, in diesem Fall sämtliche Olympiasieger von Turin. Die Paarläufer Totmianina/Marinin und die Eistänzer Nawka/Kostomarow haben ihre Karriere beendet, Jewgeni Pluschenko gönnt sich eine Schaffenspause, und Shizuka Arakawa wurde daheim in Japan von Termin zu Termin herumgereicht, so dass keine Zeit mehr zum Training blieb. Insgesamt sind sieben der zwölf Medaillengewinner von Turin nicht dabei, und das lässt sich offensichtlich selbst in Kanada nicht verkraften.

Es ist eine bekannte Crux mit Weltmeisterschaften nach Olympischen Spielen, doch im Gegensatz zu anderen Verbänden folgt der Internationale Eissport-Verband (ISU) weiter dem Muster aus alten Zeiten. Die Eisschnellläufer mussten am Wochenende bei der Vierkampf-WM ebenfalls in Calgary wieder ran, für die Kollegen aus der Abteilung Shorttrack stehen noch zwei große Titelkämpfe auf dem Plan, und im Eishockey wird wie jedes Jahr bis in den Mai hinein um den WM-Titel gespielt – wenn selbst der eifrigste Zuschauer Eis nur noch in der Waffel oder im Becher sehen mag.

Die Tageszeitung Globe and Mail fragte in ihrer Samstagausgabe spitz, ob es ein Fehler gewesen sei, sich um die WM nach den Olympischen Spielen zu bemühen, und lieferte die Antwort gleich mit: „Sieht so aus.“ Aber das ist natürlich wie das meiste im Leben relativ. Von durchschnittlich fünfstelligen Zuschauerzahlen können europäische Veranstalter beim Eiskunstlauf nur träumen; vor einem Jahr in Moskau blieb der 12.000 Zuschauer fassende Luschniki-Sportpalast an den meisten Abenden der WM halb leer.

Bessere Stimmung als in Moskau wird in Calgary garantiert sein, zumal die Kanadier ein paar Kandidaten für die Plätze auf dem Podium haben. Für die wie für alle anderen gilt: Es gibt nichts geschenkt, aber die Gelegenheit ist günstig, so günstig wie seit Jahren nicht mehr. Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy, die deutschen Meister im Paarlauf und Zweiten der Europameisterschaften in diesem Jahr, können rechnen. Sechste waren sie in Turin, zwei der fünf Paare, die da vor ihnen lagen, fehlen diesmal, und deshalb klingt es ganz normal, wenn sie sagen, eine Medaille sei ihr Ziel. Alles andere wäre Tiefstapelei.

Im Gegensatz zu den Wochen vor den Olympischen Spielen, die vom Wirbel um die Stasi-Vergangenheit ihres Trainers Ingo Steuer überschattet waren, konnten sie sich diesmal in relativer Ruhe vorbereiten. Und in ungewöhnlicher Form: Wie der Titelverteidiger und Favorit bei den Männern, Stéphane Lambiel, traten sie eine Woche lang Abend für Abend in Zürich in der Schweizer Eisshow „Art von Ice“ auf. Steuer sagt, das sei eine gute Trainingsmöglichkeit unter Wettkampfbedingungen gewesen, und für die Kondition habe es auch etwas gebracht.

Vor acht Jahren bei der WM in Minneapolis/USA – es waren Meisterschaften nach Olympischen Spielen – gewannen die Berliner Peggy Schwarz und Mirko Müller als Dritte die bis dato letzte Paarlauf-Medaille im deutschen Eiskunstlauf. Ein Jahr nachdem Mandy Wötzel und Ingo Steuer den Titel gewonnen hatten. Wie die Geschichte des Trainers Steuer und seines Paares Sawtschenko/Szolkowy weitergehen wird, ist mindestens so spannend wie der Wettbewerb selbst. Einstweilen steht nur so viel fest: In dieser Woche ist vielleicht mit Hinweisen, aber nicht mit Entscheidungen zu rechnen.