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Karnevalsprinz Reinhard I."Ich rufe Berlin, und die Masse ruft Hei-Jo"

Mit seinen 64 Jahren ist Reinhard I. er schon ein wenig betagt, aber er trägt ein stolzes Gewand in den Farben des Stadtwappens: rot und weiß. Der Prinz wohnt in der Neuköllner Gropiusstadt und war Zeit seines Lebens Malocher.

Prinz Reinhard I. in seinem Hausflur in der Neuköllner Gropiusstadt. Bild: Bernd Hartung

taz: Herr Muß …

Reinhard Muß: Ich bin Prinz Reinhard I.

Das kann jeder behaupten.

Nein. Das Festkomitee der Berliner Karnevalsvereine hat mich einstimmig zum Berliner Karnevalsprinzen gewählt.

Wie viele Gegenkandidaten hatten Sie?

Keinen. Das ist meistens so. Karnevalsprinz zu sein, ist mit finanziellen Kosten verbunden.

Sind Sie für einen Prinzen nicht ein bisschen alt?

Prinz Reinhard I.

Berliner Karnevalsprinz zu sein, ist Stress pur. 400 Veranstaltungen, zumeist in Altersheimen, hat Prinz Reinhard I. zwischen dem 11. 11. und Faschingsdienstag zu bestreiten. Das Interview gab seine Durchlaucht, als er bei einer Firma auf fünf Paletten Kamelle wartete. Gut 50 Tonnen haben Reinhard und seine Kollegen am Sonntag beim Berliner Karnevalsumzug unters Volk gebracht. Nur der Regierende Bürgermeister hat wieder keine abbekommen: Klaus Wowereit ließ sich wie in den vergangenen Jahren beim Umzug einfach nicht blicken.

Reinhard Muß ist 64 Jahre alt. Er wurde in Sachsen geboren. 1954 reiste die Familie nach Westberlin aus. Muß hat Kfz-Mechaniker gelernt und eine Weiterbildung zum Industriemeister gemacht. 2007 ging er in Ruhestand.

Seit 28 Jahren ist er Präsident des Berliner Carnevals-Vereins (BCV), mit rund 80 Mitgliedern der größte der hiesigen Karnevalsvereine. In Berlin-Brandenburg gibt es rund 150 solcher Vereine. Muß ist der am längsten amtierende Präsident in der Region. Letzten Mittwoch wurde sein Hofstaat von Bundeskanzlerin Merkel empfangen, am Freitag vom brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck.

Muß wohnt in Gropiusstadt. Seine Frau und sein Sohn sind auch im BCV-Vorstand. Die Nachfolge ist schon geregelt. 2011 soll der Sohn, ein Bankangestellter, Vereinschef werden.

Jetzt fängt das Theater schon wieder an. Zu alt. Man ist doch nur so alt, wie man sich fühlt.

Wie alt fühlen Sie sich denn?

Ich fühle mich wie fünfzig. Karneval macht Spaß. Karneval hält jung.

Trotzdem bleibt die Frage, warum Sie erst jetzt den Prinzen machen, immerhin sind Sie seit 28 Jahren in der Karnevalsbranche tätig.

Vorher habe ich nicht die Zeit gehabt. Ich war arbeitsmäßig ziemlich eingebunden.

In welchem Beruf haben Sie gearbeitet?

Ich habe Kraftfahrzeugmechaniker gelernt. Als Industriemeister habe ich später eine Abteilung von 58 Leuten geleitet. Da kann man nicht pünktlich nach Hause gehen.

Was muss man sich unter einem Industriemeister vorstellen?

Ich habe mich auf Kunststoffverschweißung spezialisiert. Ich habe bei verschiedenen Firmen gearbeitet. Wir haben Ringmappen aus Kunststoff hergestellt. Hüllen, Speisekarten. Alles mögliche. Alles in Berlin.

Sie haben Ihr ganzes Leben malocht?

So isses. Seit der Lehre habe ich durchweg gearbeitet, bis 63. Ich bin froh, dass ich in Ruhestand bin. Heutzutage ist es ja nicht mehr selbstverständlich Arbeit zu haben.

Kommen Sie aus einem Arbeiterelternhaus?

An und für sich ja. Meine Mutter war Schneiderin. Meinen Vater kenne ich nicht. Er ist im Krieg gefallen. 1945. Er war Flieger bei der Luftwaffe. Ich habe keine Ahnung, was er von Beruf war. Es wurde irgendwie totgeschwiegen in der Familie.

Haben Sie nicht nachgefragt?

Ich habe vergessen, zu fragen. Aber ich habe eine Tante, die noch lebt. Gut, dass Sie mich daran erinnern. Die werde ich jetzt fragen, was mein Vater von Beruf war.

Ihre Mutter lebt nicht mehr?

Sie ist vor fünfzehn Jahren gestorben. Sie hat mich und meinen drei Jahre älteren Bruder allein aufgezogen. Ich bin in Sachsen geboren. Großgeworden bin ich im Schwarzwald. 1961, kurz nach Mauerbau, sind wir nach Westberlin.

Warum nach Berlin?

Die ganze Verwandtschaft lebte in Westberlin. Meine Oma und viele Tanten. Wir sind 1954 vom Osten abgehauen. Zuerst waren wir in Berlin-Marienfelde im Durchgangslager. Dann wurden wir ausgeflogen und waren sieben Jahre im Schwarzwald. Die Lehre habe ich da unten angefangen und hier zu Ende gemacht.

Wo wohnen Sie heute?

In Neukölln. In Gropiusstadt. Zweiter Stock. Wenn es brennt, kann man nicht so tief fallen.

Wie viele Menschen wohnen in dem Haus?

Zwölf Etagen à vier Haushalte. Meine Frau kennt sie alle. Die ist so was von kontaktfreudig.

Was zeichnet Gropiusstadt aus?

Früher war es noch schöner. Ich habe wirklich nichts gegen Ausländer. Aber früher war es ein wunderschönes, sauberes Haus. Der Fahrstuhl, alles sauber. Wenn man sich das heute ansieht, was für ein Unterschied!

Was macht Sie so sicher, dass der Dreck nicht auch von Deutschen gemacht wird?

Die Mieter sind ja alle die gleichen geblieben. Es sind nur Ausländer dazugekommen. Ich habe wirklich nichts gegen Ausländer. Meine Frau und ich haben türkische Freunde. Auf der Arbeit hatte ich viel mit Türken zu tun. Meistens waren es Frauen, die an den Maschinen gearbeitet haben. Mit denen bin ich sehr gut zurechtgekommen. Wenn sich alle ein bisschen an die Regeln halten würden, wäre das Haus vermutlich sauberer. Man muss nicht in den Fahrstuhl kotzen.

Wissen die Leute im Haus, dass sie mit einem Prinzen zusammenwohnen?

Natürlich. Sie sehen mich ja rein- und rauskommen. Im Ornat. Bisher kannten sie nur meine Vereinsuniform. Jeder Karnevalsverein hat seine eigenen Farben. Mein Verein hat gelbe Jacken mit schwarzem Revers und schwarze Hosen. Jetzt, als Prinz, trage ich Rot-Weiß. Ein richtiges Ornat.

Werden Sie in Gropiusstadt nicht ausgelacht?

Im Gegenteil. Die Leute winken und rufen, das sieht ja super aus. Und Sie fragen, warum Rot-Weiß? Ich erkläre dann, dass ich der Karnevalsprinz von Berlin bin und Rot-Weiß die Farben der Stadt sind.

Wie sind Sie denn beim Karneval gelandet?

Das war zu Beginn der 80er-Jahre in Berlin. Eigentlich wollte ich in einer Kneipe nur ein Bier trinken. Es war Rosenmontag, und ich bin mitten in eine Feier des Berliner Carnevals-Vereins geraten. Noch am selben Tag bin ich Vereinsmitglied geworden. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Jugendzeit im Schwarzwald verbracht habe.

Ist Prinz zu sein für Sie nun die Vollendung des Glücks?

Es ist schon schön. Eigentlich wollte ich es nie machen. Aber der Vorsitzende des Festkomitees hat gedrängt: "Reinhard, willste nicht endlich mal Prinz machen?" Immerhin bin ich der am längsten amtierende Präsident eines Karnevalsvereins in Berlin-Brandenburg. Na gut, habe ich schließlich gesagt. Dann will ich mal meine Finanzen fragen.

Was kostet der Spaß denn?

Das verrate ich nicht.

Was macht die Angelegenheit so teuer?

Alles. Die ganzen Kosten. Das Ornat. Dann hat man eine Prinzessin. Wenn die kein Geld hat, muss man ihr Ornat mitfinanzieren. Dann kommt das Benzingeld dazu und die ganzen Orden - 400 Stück. Und das Essen und Trinken für den Hofstaat.

Wer bekommt die Orden?

Wir haben einen Terminkalender mit ungefähr 400 Veranstaltungen, die wir zwischen dem 11.11. und Faschingsdienstag abarbeiten. In der Regel sind das Sozialveranstaltungen, meistens werden wir von Altersheimen eingeladen. Jeder Leiter bekommt einen Orden verliehen.

Wie läuft so ein Auftritt ab?

Der ganze Hofstaat marschiert ein: Prinz, Prinzessin, Hofdame, Adjudant, Standartenträger, Fahrer, Hofmarschall, das Kinderpaar mit Gefolge. Dann halte ich eine Rede.

Was erzählen Sie den Leuten?

Immer was anderes.

Zum Beispiel?

Das kann ich Ihnen doch hier jetzt spontan nicht sagen. Ich mache das frei nach Schnauze.

Prinz zu sein ist also ganz schön stressig.

Trotzdem macht es Spaß. Wir bereiten den Menschen mit unseren Veranstaltungen große Freude. Viele Beziehungen sind so entstanden. Meine Frau habe ich auch beim Karneval kennengelernt.

Bei was für einer Gelegenheit war das?

Das war 1982 am Aschermittwoch bei der Baccusbeerdigung in Ahlen, Westfalen. Der Weingott wird verbrannt. Damit fängt die Fastenzeit an. Schon weil ich meine Frau kennengelernt habe, hat sich der Karneval gelohnt.

Wie kommen Sie damit klar, dass viele Berliner mit dem Ritual auf Kriegsfuß stehen?

Wer behauptet das?

Das ist doch bekannt.

So ein Quatsch. In diesem Jahr hat in Berlin zum neunten Mal ein Karnevalsumzug stattgefunden. Jedes Jahr ist der Zug gewachsen. Diesmal haben rund 3.500 Menschen und 93 Wagen mitgemacht, über eine Million Zuschauer sind gekommen. Der Unterschied zu Städten wie Köln ist, dass die Politik in Berlin nicht dahintersteht.

Spielen Sie auf Klaus Wowereit an?

Der geht zu jeder Party. Nur am Karnevalszug, am Sonntag, da hat er sich noch nie blicken lassen. Er hat uns auch noch nie am 11.11. empfangen.

Was hat der Regierende Bürgermeister gegen Sie?

Fragen Sie ihn selbst. Wenn er meint, dass er über eine Million Besucher des Zugs als Wähler nicht ansprechen muss, soll er wegbleiben. Ich und mein Hofstaat waren am 14. Januar in Köln beim Oberbürgermeister Fritz Schramma. Er hat uns zusammen mit dem Dreigestirn von Köln empfangen.

Dreigestirn?

Prinz, Jungfrau und Bauer. Der Unterscheid zu Berlin ist so was von riesengroß. Das kann man sich nicht vorstellen. Was die Kölner alles gesponsert bekommen. Allein die ganzen Autos. Die Karnevalsmannschaft fährt mit dreizehn, vierzehn, fünfzehn Wagen durch die Gegend. Alle von Mercedes.

Und der Berliner Prinz muss zu Fuß gehen?

So ist es nun auch nicht. Wir haben von VW drei Autos für die Session gesponsert bekommen. Danach gibt man die natürlich wieder zurück.

Warum findet der Umzug in Berlin am Sonntag statt und nicht wie im Rheinland am Rosenmontag?

Weil man die Berliner Arbeitgeber nicht dazu kriegt, den Leuten am Montag freizugeben.

Was machen Sie am Rosenmontag?

Da haben wir wieder Termine auf Faschingsfeiern. Für mich ist der Umzug am Sonntag der Höhepunkt, zumal ich diesmal auch noch im Prinzenwagen sitze.

Hat Berlin ein eigenes Karnevalslied?

Ja. Berlin, Hei-Jo! So wie der Berliner Karnevalsgruß. Hei-Jo. Heiterkeit und Jokus.

So grüßen Sie immer?

Immer. Berlin, Hei-Jo. Dreimal. Ich rufe Berlin, und die Masse ruft Hei-Jo. Es gibt immer noch Leute, die Helau und Alaaf rufen, aber die werden von uns korrigiert.

Bedeutet Karneval nicht Besaufen bis zum Umfallen - wie halten Sie das durch?

Das ist ein böses Vorurteil. Wenn sich jemand besäuft, dann sind es die Besucher, nicht die Akteure. Ich trinke bei den Auftritten ab und zu mal ein Bier, ansonsten Selters. Anders schafft man das nicht. Die Kölner sehen es übrigens auch nicht gern, dass das mit dem Alkohol solche Ausmaße annimmt. Beim Fischessen am Aschermittwoch, bei der Hoppeditz-Beerdigung …

wobei bitte?

Was in Westfalen der Baccus ist, ist in Berlin der Hoppeditz. Da wird der Karneval begraben. Da schlage ich alkoholmäßig dann auch mal richtig zu.

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