Karneval der Kulturen: Die zwei Gesichter des Karnevals
Das Multikulturelle ist etwas ganz Besonderes beim hiesigen Karneval - die Sauferei nicht. Beobachtungen einer Neu-Berlinerin
Love-Parade in Dortmund, Rosenmontagszug in Köln, Christopher-Street-Day in Berlin, Karneval zum Stadtgeburtstag in St. Petersburg: Die Straßenumzüge, bei denen ich bis jetzt dabei war, waren überall gleich - laut und bunt. Vom Umzug beim Karneval der Kulturen am Pfingstsonntag hatte ich nicht viel Neues erwartet. Ich muss gestehen, ich war überrascht. Positiv.
Im Unterschied zu vielen anderen Straßenumzügen hat die Berliner Multikulti-Karawane nämlich eine Botschaft: Berlin ist eine ethnisch, religiös und kulturell heterogene Metropole - das wollen wir feiern. Und 4.800 TeilnehmerInnen aus 70 Nationen zeigten alles, was sie können.
Die Tscherkessen, die Kurden und die Croaten tanzten in Trachten ihre Nationaltänze. Zu Trommel- und Salsarhythmen führten die lateinamerikanischen Gruppen in farbenprächtigen Kostümen ihr Können vor. Die Mongolei präsentierte sich mit meditativen Klängen. Die Jungs in den T-Schirts mit Aufschrift "Afrika-Team" zeigten Ballkünste. Die Frauen und Männer aus der Gruppe "Hoopla! Berlin" schwangen ihre Hüften zu Elektrobeats.
Hut ab vor den Karnevalisten, die auf Stelzen in Fellkostümen, Masken und Perücken in der Sonne schwitzten. Hut ab vor den Tänzerinnen, die vom Hermannplatz über die Hasenheide bis zur Yorckstraße fünf Kilometer lang auf hohen Absätzen stöckelten. Und lächelten.
Viele Umzugsgruppen nutzten die Show für politische Botschaften. "Mein Name ist Mensch" stand auf den T-Shirts einiger TeilnehmerInnen. Die Gruppe "Sapucaiu no samba" war unter anderem mit RollstuhlfahrerInnen vertreten. Ein Team warnte vor Wassermangel. "Ein Drittel der Weltoberfläche besteht bereits aus Wüsten", stand auf dem Plakat.
Der Verein Calaca, ein Zusammenschluss lateinamerikanischer, spanischer und deutscher BerlinerInnen, setzte sich mit dem Leben als Glücksspiel auseinander. Auf dem Wagen war eine Karikatur, auf der ein kleiner Mann mit Schnurrbart einen dicken Mann in römischer Kleidung auf den Schultern trägt. Die Überschrift lautete: "Tombola global". Der katalanische Salon feierte die Prinzessin von Wolfenbüttel, die Anfang des 18. Jahrhunderts Statthalterin in Katalonien war. Die gigantische Kaiserin-Puppe führte die bunt gekleidete Gruppe.
Für das Publikum war es eine Augenweide: Kinder schauten mit Bewunderung auf die Kostüme, junge Eltern mit ihren Babys wagten sich in die erste Reihe und knipsten Fotos. Im Unterschied zu anderen Straßenumzügen gab es beim Karneval der Kulturen weitgehend keine Zaunabsperrungen. Das brachte Verzögerungen beim Umzug, weil die Menschen auf der Straße standen. Dafür konnte jeder und jede aus dem Publikum sich den Umzugsgruppen anschließen. Die gelungene Integrationswerkstatt eben.
Dann kam der Abend - und das Publikum teilte sich unaufhaltsam in zwei Mannschaften: die Bier- und die Caipirinha-Trinker. Immer mehr neue Mitglieder schlossen sich dem einen oder dem anderen Team an.
Abends geht's rund
Am Ende gewannen die Biertrinker. Die Flaschensammler konnten nicht mithalten. Leere Flaschen rollten durch die Straßen. Vor den Mülltonnen lagen Haufen von Müll. Einige Besucher spielten Fußball mit Kokosnüssen und ausquetschen Limetten. Die Männer starteten einen neuen Wettbewerb: Wer markiert mehr Bäume auf der Allee der Gneisenaustraße.
Mit Einbruch der Dunkelheit verwandelte sich der Umzug in eine tanzende Kolonne, die sich hinter den Wagen mit Musikboxen herschleppte. Dahinter fuhr ein Polizei- und ein Krankenwagen. Der Abendumzug war reich an erotischen Szenen. Eine taumelnde Frau versuchte einen Polizisten zu umarmen. Er schubste sie leicht zurück. Sie landete in den Armen ihres Begleiters und lachte. Ein Mann packte eine leichtbekleidete Samba-Tänzerin an den Hüften. Die Körperbewegungen der beiden waren so unzweideutig, dass eine Frau mit Kinderwagen schnell wegfahren musste. Ob die Feiernden sich in dem Moment bewusst waren, auf welchem Fest sie gerade tanzten? Das schien ihnen egal zu sein. Hauptsache: Die Musik war laut genug und es gab Bier.
Eine Metamorphose war geschehen: Die Idee, die kulturelle Vielfalt Berlins zu zelebrieren, ging unter. Der Karneval der Kulturen unterschied sich am Abend kaum von einer x-beliebigen anderen Massenveranstaltung.
In der S-Bahn, die die Feiernden von der Yorckstraße nach Hause fuhr, schrien die Betrunkenen und trommelten auf das Zugdach, bis sich ein Teil der Deckenplatte löste und runterfiel. Die Männer schien es zu belustigen. Mich nicht. Vielleicht hätte ich doch mittrinken sollen.
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