Karneval der Kulturen: Straßenumzug? Ohne uns!
Der Senat plane, Gruppen des Karnevals finanziell zu unterstützen, hieß es kürzlich aus dem Büro des Kulturstaatssekretärs Schmitz. Integrationssenatorin Kolat dementiert. Für die Teilnehmer heißt das: Sie müssen betteln gehen
Auf den eng taillierten Mänteln mit den überlangen weiten Ärmeln bilden aufgenähte Bordüren verschlungene Ornamente, die Pflanzen und Tiere symbolisieren. Tanzen die tscherkessischen Frauen in ihren bodenlangen Trachten, wirkt es, als schwebten sie über dem Boden. Die schwarzen Mäntel der Männer zieren in Brusthöhe Patronenhülsen, die einst teils tatsächlich Schießpulver, teils Essensnotrationen enthielten.
Gut 1.000 Euro kostet ein solches Kostüm, sagen Duran Kaya und Canan Keskin vom Tscherkessischen Kulturverein Berlin. Einer der Gründe, warum die Tscherkessen in diesem Jahr nicht am Karneval teilnehmen: Es fehlt ihnen schlicht das Geld für den teuren Event – wie vielen kleinen Gruppen oder Vereinen.
Schon seit Langem fordern die OrganisatorInnen und viele TeilnehmerInnen des Karnevals deshalb finanzielle Unterstützung für die Gruppen durch den Senat. 750.000 Euro beträgt der derzeitige Gesamtetat für den Karneval, 270.000 davon kommen aus dem Berliner Haushalt, der Rest von Sponsoren und aus Einnahmen des Straßenfestes. Das Geld werde aber für Sicherheitsmaßnahmen wie Absperrungen und Logistik wie etwa Besucher-WCs vollständig aufgebraucht, sagt Nadja Mau von den Karnevalsorganisatorinnen. Die Gruppen müssen die Kosten für ihre Wagen selbst aufbringen.
Der 17. Karneval der Kulturen beginnt am Freitag und endet am Pfingstmontag. Der große Umzug beginnt am Pfingstsonntag um 12.30 Uhr. Samstag ab 13.30 Uhr zieht der Kinderkarneval vom Mariannenplatz zum Görlitzer Park, wo bis 19 Uhr ein großes Familienfest stattfindet.
800 KünstlerInnen treten auf den vier Themenbühnen beim Straßenfest auf. Das öffnet Freitag ab 16 Uhr, Samstag und Sonntag ab 11 Uhr und endet an den drei Tagen um 24 Uhr, das Bühnenprogramm jeweils eine Stunde früher. Am Pfingstmontag endet das Fest um 19 Uhr. Das genaue Programm unter www.karneval-berlin.de
Am Straßenumzug nehmen in diesem Jahr 96 Gruppen mit insgesamt mehr als 5.000 Personen teil. Viele Gruppen reisen aus anderen Ländern an. Oder haben Gäste von weither - wie die Gruppe "Der blaue Drache" der Kreuzberger Hector-Petersen-Oberschule, die mit SchülerInnen aus Taiwan kooperiert. Der Umzug zieht vom Hermannplatz über die Hasenheide und die Gneisenaustraße zum Mehringdamm und endet dort gegen 21 Uhr.
65 Gruppen nehmen in diesem Jahr am Karnevalswettbewerb teil. Vergeben werden 7 Preise:
3 für die Gesamtformation, 2 für die schönsten Umzugswagen und 2 für die besten Kinder- und Jugendgruppen. Die Jury unter der Leitung von Shermin Langhoff beobachtet den Umzug aus einer kleinen, am Südstern platzierten Box heraus.
Die Preisverleihung findet am Pfingstmontag um 15 Uhr auf der Eurasia-Bühne beim Straßenfest auf dem Blücherplatz statt. (akw)
Es sei Abhilfe geplant, hatte die Pressestelle des Staatssekretärs für Kultur, André Schmitz, kürzlich auf Anfrage der taz mitgeteilt (taz berichtete): Konzepte für entsprechende Finanzierungsmodelle seien „unter Federführung des zuständigen Ressorts in Planung“, hieß es in der Antwort. Doch die zuständige Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) dementierte das am Donnerstag: Für finanzielle Unterstützung der Karnevalsgruppen sei im Haushalt kein Spielraum, sagte Kolat der taz.
Die meisten der Berliner TscherkessInnen sind aus der Türkei eingewandert. Ihre Kinder werden an den Schulen und in den Statistiken zu den Einwanderern türkischer Herkunft gezählt. Nur wenige sprechen noch die alten tscherkessischen Sprachen. Das einst im Nordkaukasus ansässige Volk, das im 19. Jahrhundert von dort vertrieben wurde, lebt heute zerstreut in ganz Europa, der Türkei und einigen arabischen Ländern.
Zeigen, dass es sie gibt
Gerade deshalb ist der Karneval den TscherkessInnen wichtig. Seit zwei Jahren hat er sich für sie zu einer Art Bundestreffen entwickelt. „Wir wollen unsere Kultur nicht nur nach innen pflegen, sondern auch nach außen darstellen, dass es uns gibt“, sagt Duran Kaya vom Tscherkessischen Kulturverein Berlin. Etwa 100 TscherkessInnen aus ganz Deutschland reisten im vergangenen Jahr zu dem Multikulti-Fest an, etwa eine Tanz- und Musikgruppe aus Köln.
Etwa 5.000 Euro kostete die rund 40 Mitglieder des Berliner Tscherkessenvereins die Teilnahme am Karneval 2011: Kosten vor allem für die Unterbringung von Gästen und Kostüme für die TeilnehmerInnen, sagt Duran Kaya. Zwei private SponsorInnen brachten im vergangenen Jahr einen Großteil der Summe auf. Eine von ihnen, eine in der Schweiz lebende Tscherkessin, verstarb kürzlich 80-jährig. Für die Tscherkessen heißt das: Sie können sich die Teilnahme am Karneval in diesem Jahr nicht leisten. „Traurig“ seien sie darüber, sagt Duran Kaya: „Viele hatten das schon lange eingeplant.“
Auch für die Theatergruppe Kalibani ist die Teilnahme am Karnevalsumzug in diesem Jahr geplatzt. Bereits dreimal war das Ensemble aus SchauspielerInnen mit und ohne Behinderungen dabei. In diesem Jahr war eine gemeinsame Performance mit Roma-MusikerInnen und KünstlerInnen geplant. Ein langfristiges Projekt sollte daraus entstehen, so Klaus Erforth, Chef der Kalibani-Truppe: „Wir wollten ein künstlerisches Programm entwerfen, dass wir für Straßenfeste und Theateraufführungen weiterentwickeln wollten.“ Doch obwohl in die gesellschaftliche Integration der Roma in Berlin derzeit investiert wird, blieb die Suche nach SponsorInnen erfolglos.
Knapp 100 Gruppen nehmen jährlich am großen Straßenumzug des Karnevals teil – und immer wieder sind neue dabei. Dass der Umzug trotzdem nicht länger wird, liegt an technischen und Sicherheitsaspekten, die seine Länge begrenzen. Aber auch daran, dass vielen Gruppen die regelmäßige Teilnahme aus finanziellen Gründen nicht gelingt. Je nach Größe der Gruppe und Aufwand ihres Auftritts kann die Teilnahme am Umzug zwischen 2.000 und 20.000 Euro kosten. Teilnahmegebühren fallen nicht an – es geht um die Kosten für Wagen, Dekoration, Kostüme, Musikanlagen.
5.000 Euro hätten die Kalibanis allein als Miete für den Umzugswagen bezahlt. Es musste ein Tieflader sein, erklärt die Künstlerin Kerstin Janewa, Kostüm- und Bühnenbilderin der Gruppe: Damit auch TeilnehmerInnen mit geistigen und körperlichen Handicaps während des Umzugs gefahrlos auf- und absteigen können. Für die Dekoration des großen Fahrzeugs war sie bereits in Vorleistung gegangen: Fast 100 Gesichter schauen die Besucher ihres kleinen Ateliers im Wedding an, quadratische Bildnisse, die an afrikanische Masken, kubistische Porträts oder Roboter, wie sie Kinder aus alten Pappkartons bauen, erinnern.
Mit Nachbarskindern
Gemalt wurden sie von Mitgliedern der Kunstgruppen, mit denen Janewa arbeitet, und von Kindern aus der Nachbarschaft, kurdischer, türkischer, Roma-Herkunft. Die Porträts will Janewa nun auf dem kleinen Stand verkaufen, den sie auf dem Straßenfest betreiben wird. Und statt beim Umzug wird die Kalibani-Gruppe ihre Performance auf der Wiese am Blücherplatz aufführen.
Dabei könnten schon kleine Summen große Unterstützung bedeuten. Hat man erst eine Grundsumme, wie sie mit dem Fonds möglich wäre, ist es auch leichter, weitere Geldgeber zu finden, weiß Klaus Erforth von den Kalibani aus langer Erfahrung mit Theaterprojekten: Viele Sponsoren finanzierten gern kleinere oder größere Summen zu, schreckten aber vor Anträgen auf große Summen zurück.
Das hat auch Barbara Saltmann erlebt: Etwa 25.000 Euro hätte ihr Verein aufbringen müssen, um mit einem großen dekorierten Wagen am Karnevalsumzug teilzunehmen, sagt die Vorsitzende der Caribbean European United Society (CEUS). Der Verein wollte in diesem Jahr erstmals am Karnevalsumzug teilnehmen: Um die 50-jährige Unabhängigkeit Jamaikas zu feiern „und unsere 50-jährige Freundschaft mit Deutschland“, wie die gebürtige Jamaikanerin Saltmann ergänzt. Von der Ursprungsidee mit eigenem Wagen musste der Verein jedoch Abstand nehmen. „Wir hatten gehofft, dass es einfach wäre, Spenden zu bekommen“, sagt Saltmann. „Aber 25.000 Euro waren den meisten zu viel.“
Nun laufen die Berliner JamaikanerInnen als Fußgruppe vor dem Wagen des Kulturvereins Yaam mit: „Yaam war unsere Rettung“, so Saltmann. „Cool runnings“ lautet das Motto ihrer Gruppe – in Anlehnung an den Spielfilm über die erste jamaikanische Rodlermannschaft. Einen gebrauchten Bob für den Umzug hat Saltmann aus eigenen Mitteln bezahlt und auf Räder stellen lassen. In ihrem jamaikanischen Restaurants verkauft sie T-Shirts zu dem Event, um damit wenigstens einen Teil der Teilnahmekosten zu finanzieren.
Für die Tscherkessen gibt es dazu sowieso keine Alternative: „Wir brauchen die Fläche der Straße für unsere Tänze“, sagt Duran Kaya. Einen teuren Umzugswagen braucht die Gruppe nicht. Auf finanzielle Hilfe ist der Verein dennoch angewiesen: „Wir brauchen dringend mehr Kostüme“, sagt Kayas Vereinskollegin Canan Keskin. Nicht jedes Mitglied ihrer Gruppe besitzt eines. Die Trachten müssen aus dem Kaukasus importiert oder hier genäht werden: Kosten pro Stück etwa 1.000 Euro, schätzen die zwei. Sie wollen nächstes Jahr unbedingt wieder dabei sein: „Wenn es da Unterstützung gäbe – das wäre schon super“, sagt Duran Kaya.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern