Karikaturen in Deutschland: Die unterschätzten Aufklärer
Nur rund 20 Karikaturisten können in Deutschland von ihrer Arbeit leben. Dabei ist Komik eine aufklärerische Macht, auch wenn sie einmal giftige Blüten trieb.
Kennen Sie den? Im Bett liegt der „deutsche Michel“, aufgeschreckt von einem Gespenst, auf dem „Kosten der Energiewende“ steht, während draußen vor dem Fenster ein Atommeiler kichert: „Hi-Hi-Hi-Hi …“. Tja, das ist der Dieter Hanitzsch. Oder den? Eine offenbar defekte Waschmaschine mit der Aufschrift „Steueroasen“, mit der Trommel voller Geldscheine und einer zypernförmigen Pfütze, auf der „Zypern“ steht. So geht politische Karikatur in Deutschland.
Bieder beschriftete Illustrationen der Leitartikel, über denen sie erscheinen, meistens von Hanitzsch. Oder halt von Tomicek. Deren Arbeit richtet sich an genau den dämlichen „Michel“, den sie immer wieder darstellen, um ihm als Kommentar zum Gang der Dinge das immergleiche Schmunzeln der Selbstgerechtigkeit zu bieten.
Insgesamt, so wird geschätzt, können hierzulande gerade mal 20 Zeichner hauptberuflich davon leben, Sachverhalte aus Politik, Kultur oder Gesellschaft „mit spitzer Feder aufzuspießen“ oder „bis zur Kenntlichkeit zu entstellen“, um nur zwei der stets ömmeligen Umschreibungen dieser schwierigen Profession zu zitieren. Karikaturen von sehr unterschiedlicher Qualität gibt es überregional und regelmäßig in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und ihrer Sonntagszeitung, dem Stern, der taz und in der Nische der Satiremagazine zu sehen.
Der Markt ist winzig und entsprechend hart umkämpft. Und wahrscheinlich gibt es mehr Kampfpilotinnen als Karikaturistinnen, die von ihrer Kunst leben könnten. Zeichnende Frauen, so scheint es, widmen sich eher der Illustration oder dem Comic und gehen so der Karikatur verloren.
Karikaturenprovinz Deutschland
Was dieses Genre angeht, ist Deutschland seit 1945 traditionell Provinz. In den Jahren davor, auch das gehört zu ihrer Geschichte, erlebte die Karikatur als antisemitisches Zerrbild eine giftige Blüte, als sie beispielsweise den Juden stets mit Hakennase und fleischigen Ohrläppchen zeichnete. Davon hat sich, wahrscheinlich zu Recht, die personale Individualkarikatur nie mehr richtig erholt. Physiognomische Merkmale etwa von Politikern dienen höchstens der Wiedererkennung und nicht der Denunziation.
Auch fehlt in der Bundesrepublik die ehrwürdige Tradition der bandes dessinées, auf die sich etwa die frankophonen Länder berufen können. Und nie konnte die Karikatur den legendären Stellenwert erreichen, den sie beispielsweise im New Yorker innehat. Es ist im Zeichen von Zeitungskrise und Monopolisierung nicht zu erwarten, dass sich das jemals ändern wird.
Trotzdem gibt es auch hierzulande ein Verständnis von Karikatur als archimedischem Punkt, von dem aus sich gefestigte Gewissheiten aushebeln lassen. Die Kunst bestünde dann gerade in der Komik und der Fähigkeit, ohne betuliche Beschriftungen auszukommen – zumal das Bild als solches im Wettbewerb um Aufmerksamkeit den Vorteil hat, binnen Sekunden wahrgenommen und verstanden werden zu können.
Dafür spricht auch der Trend zur satirischen Bilderfolge, wie etwa Rattelschneck oder Hauck & Bauer sie perfektioniert haben. Nicht der Strich, der Text transportiert den Witz. Dennoch wirkt ihr schieres Erscheinen allein schon subversiv in einer Gesellschaft, die gelernt hat, rasch Gemaltes – wie alle vermeintlich „leichte“ Kunst – gering zu schätzen.
Vielleicht leistet sich der Spiegel deshalb zwar die Rubrik „Hohlspiegel“, nicht aber einen Karikaturisten. Die komische Kunst belächelt grundsätzlich, ihr Kern ist die Zuspitzung, in ihrem Visier sind die Mächtigen. Die gelungene Karikatur ist eben nicht so staatstragend und affirmativ, wie es die meisten Medien heute gern sein wollen. Sie soll verwirren und schmerzen, wie dieses absurd schneckenhafte Wesen mit Cocktailschirmchen auf einem Skateboard, das Katz & Goldt einst malten. Es stellte, ganz ohne Beschriftungen, den „Nahostkonflikt durch die Brille eines Schwachkopfs“ dar.
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