"Karawane"-Flüchtlingsfestival: "Es geht um Menschenrechte"
In Jena macht ein Festival auf die Lage von Flüchtlingen aufmerksam. 3.000 Gäste aus Europa und Afrika werden erwartet. Kritisiert wird unter anderem die EU-Grenzagentur Frontex.
Ein bisschen suchen muss man die Organisatoren des "Karawane"-Flüchtlingsfestivals im thüringischen Jena. Ganz oben unter dem Dach eines schillernden Hauses am Schillergässchen sind sie zu finden. Vorbei an den schier zahllosen Briefkästen, Türen und Plakaten von Greenpeace, den Bündnisgrünen oder der Roten Hilfe. Die schrägen Wände zwingen den wuchtigen Nigerianer Osaren Igbinoba gelegentlich zu einer gebückten Haltung, die so gar nicht zu seinem sonstigen Auftreten passt. Denn Osaren, der seit 1997 politisches Asyl in Deutschland genießt, ist der Jenaer Exponent des internationalen Flüchtlingsnetzwerks "The Voice Refugee Forum".
Verlassen kann er sich dabei auf deutsche Sympathisanten wie den Studenten der Politikwissenschaft Clemens Wigger. Empathie treibt ihn und seine Freunde um, Teilnahme am Schicksal der von Abschiebung oder Isolation bedrohten Flüchtlinge hier, aber auch Solidarität mit jenen, die die "Festung Europa" gar nicht erreichen und als Boatpeople oder in Auffanglagern umkommen. Es gehe ihm dabei nicht um mildtätiges Erbarmen, sondern um Menschenrechte, betont Clemens. Er sei "generell gegen jede Form der Selektion", auch gegen die soziale im eigenen Land.
Seit November letzten Jahres plant eine lokale Vorbereitungsgruppe das Karawane-Festival. Eine Premiere, ein Experiment, und zugleich die größte Veranstaltung ihrer Art in Europa. Rund 3.000 Gäste aus Europa und Afrika werden von Freitag bis Sonntag an den vier Bühnen der Innenstadt erwartet. Es geht nicht zuerst um Demonstration und Anklage, sondern um Selbstermutigung und Präsenz, darum, trotz Repressalien aus der Isolation herauszutreten. "Our presence ist our power", erklärt Osaren. Die Flüchtlinge wollen im Wortsinn nicht mehr als bush people behandelt werden wie in jenem Heim, das sich 5 Kilometer vor der Stadt im Wald befand. Dort entwickelte sich der Jenaer Ableger von The Voice.
Warum gerade der Veranstaltungsort Jena? Clemens Wigger schüttelt bedächtig den Kopf ob der Vermutung, eine besonders aufgeklärte kommunale Zivilgesellschaft lade dazu ein. Im Widerstand gegen Nazis und Rassismus genieße die Stadt zwar einen guten Ruf, aber deswegen seien die Bürger noch lange nicht für offene europäische Grenzen. "Es liegt weniger an der Stadt, als an unserer kontinuierlichen Arbeit hier", sagen beide nicht ohne Stolz. Beide loben die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung.
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Bürgern der Stadt will man mit den Mitteln der Kunst eine Brücke bauen. Ein Familienfest, Konzerte, Poesie, politische Songs sollen das Näherkommen erleichtern. Auf sinnliche Weise überträgt sich das Anliegen besser. Eine Parade afrikanischer Masken wird symbolisch an die 12.000 Toten erinnern, die nach Erhebungen der Veranstalter die Außengrenzen der "Festung Europa" schon gefordert haben.
Insbesondere gegen Frontex, die 2004 geschaffene Grenzagentur der EU, richtet sich der Zorn. Diese Flüchtlingsabwehr speziell an den Südküsten werde immer brutaler, konstatiert Osaren Igbinoba. Gaddafi erhalte europäisches Geld, um in Libyen aufgegriffene Flüchtlinge zu internieren. "Die Kolonialstrukturen leben fort", sagt der Nigerianer. Deutschland sei mit seiner Residenzpflicht für Asylbewerber moralisches Schlusslicht. Von Menschenwürde und unteilbaren Menschenrechten spricht er am häufigsten. Daran solle das Festival erinnern.
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