Kapstadt und die Township-Toilette: Public Viewing? So doch nicht!
Ein bizarrer Kleinkrieg um 51 Klos ohne Wände in einem Kapstädter Township spaltet die Politik entlang der Schwarz-Weiß-Linie. Der ANC zeigt sein hässliches Gesicht.
KAPSTADT taz | Während in Kapstadt die WM tobt und die Innenstadt vor extrem verbesserter Infrastruktur strotzt, streiten sich in Makhaza im Township Khayelitsha, 40 Kilometer außerhalb des Zentrums, Bürger mit der Stadt über Toiletten ohne Wände.
Ntombentsha, eine Großmutter in Makhaza, fühlt sich jedes Mal gedemütigt, wenn sie muss. "Ich war nicht dabei, als diese Sache beschlossen wurde", klagt sie. "Ich möchte eine Wand um meine Toilette, aber ich kann es mir nicht leisten. ich lebe nur von der kleinen Unterstützung, die ich vom Staat bekomme. Ich bin 75 Jahre alt und fühle mich als ältere Person entwürdigt." Eine jüngere Frau meint: "Ich warte immer, bis es dunkel wird, weil dich tagsüber jeder sehen kann. Wir fühlen uns dadurch total minderwertig."
Seit Wochen erregen sich jetzt schon die Politiker, die Bürger und sogar Südafrikas Menschenrechtskommission. Anfang 2007 hatte die Stadt Kapstadt beschlossen, den 1.316 Haushalten von Makhaza provisorische Toiletten hinzustellen, so lange, bis sie die Wellblechhütten durch richtige Häuser ersetzen können. Geplant waren 265 Toiletten, eine pro fünf Haushalte, mit Wänden drum herum. Eine Bürgerdelegation allerdings überzeugte die Stadt davon, gleich 1.316 Klos hinzustellen, für jeden Haushalt eines - und zwar ohne Wände, damit sich die Menschen ihre Hütten um die Toiletten bauen können und so ein vom Staat gesponsertes "Privatklo" bekommen.
1.265 der 1.316 Open-Air-Klos wurden von den ansässigen Familien tatsächlich umbaut, in kürzester Zeit und auf eigene Kosten. Die restlichen 51 aber nicht. Die Einwohner, die sich keinen Hausbau leisten konnten, verrichten ihr Geschäft weiter auf offener Straße und wahren ihre Privatsphäre, indem sie sich eine Decke über den Kopf ziehen. Manch einer, der in Makhaza lebt, hat sehr, sehr wenig Geld.
Das störte niemand außer den extrem in Verlegenheit gebrachten Betroffenen, bis der in Südafrika regierende ANC letztes Jahr die Provinz Westkap mit der Hauptstadt Kapstadt an die oppositionelle DA (Demokratische Allianz) der deutschstämmigen Weißen Helen Zille verlor - und prompt anfing, sich schreckliche Sorgen um die Bürger von Makhaza zu machen. Der ANC reichte Klage bei der Menschenrechtskommission ein, obwohl er die Toilettenentscheidung ursprünglich mitgetragen hatte. Die DA reagierte und verpflichtete sich kurz vor der WM, die 51 Klos mit Wänden zu versehen.
Von Kapstadts Bürgermeister Dan Plato höchstpersönlich wurden die neu umbauten Toiletten eingeweiht und feierlich an die Bürger von Makhaza übergeben. Aber noch während der Zeremonie musste er unter Personenschutz fliehen. Die radikale ANC-Jugendliga, deren Oberhaupt der kontroverse Rassist Julius Malema ist, hatte in der Nacht davor einige ihrer Mitglieder in Makhaza animiert, gegen die "minderwertigen Wellblechtoilettenwände" zu protestieren und diese "unverzüglich wieder abzureißen". Was auch geschah. Dan Plato ließ daraufhin die Toiletten komplett abbauen.
So haben die betroffenen Bürger von Makhaza nun weder Toiletten noch Wände. Die Stadtverwaltung sagt, sie wolle die Toiletten vor mutwilliger Zerstörung schützen und werde sie erneut installieren, sobald eine einvernehmliche Lösung mit der Gemeinde gefunden sei. Aber ein dafür angesetztes Treffen am Donnerstagabend artete in Chaos aus. Mitglieder der ANC-Jugendliga schrien Zille an: "Wir wollen Sie nicht hier", und warfen ihr vor, "weiße Tendenzen" im Township einzuführen.
Der diffuse Slogan von der "white tendency" ist eine beliebte Floskel nicht nur von ANC-Jugendligachef Malema, sondern auch von Simbabwes Präsident Robert Mugabe. Den ANC-Jungendliga-Mitgliedern in Makhaza scheint er gefallen zu haben. Bei der Sitzung am Donnerstag begannen sie alte Befreiungslieder zu singen, statt sich ihren Toiletten zu widmen. Das brachte sie allerdings auch nicht weiter, denn als die ANC-Jugendliga auch noch drohte, Westkap "unmittelbar nach der WM unregierbar zu machen", packten Bürgermeister Plato und Provinzpremierministerin Zille ihre Sachen und verließen das konstruktive Gespräch.
Die Toilettensaga geht also weiter, und es ist kein konstruktives Ende in Sicht. Im Zentrum stehen nicht mehr die Bürger von Makhaza, sondern die Politik. Der ANC hat die Macht fast uneingeschränkt und ungehindert überall in Südafrika, nur eben im Westkap nicht - und das gefällt ihm gar nicht. Die DA gefällt sich in ihrer strengen, unbestechlichen und "rechten" Linie. Die DA will sich von der radikalen ANC-Jugend nicht in die Ecke drängen lassen, der ANC will größtmögliches Kapital aus dem "Versagen der DA" schlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt