: Kapitalismus kennt keine Ethik
betr.: zum selben Thema
Frau Bergmann versucht mit allen erdenklichen und teils auch unlauteren Mitteln und Verdrehungen, die Transplantationsmedizin zu diskreditieren. Aus meiner Sicht als Patient gibt es natürlich erhebliche Argumente dafür, da diese als letzte lebensrettende Maßnahme für schwerstkranke und vom Tode bedrohte Menschen in Frage kommt. Ich selbst bin mittlerweile vierzig Jahre alt und lebe seit nunmehr acht Jahren mit einer transplantierten Lunge.
Die von Frau Bergmann beschriebenen Statistiken sind völlig veraltet, die Überlebensraten sind viel, viel größer, die psychischen Probleme von Patienten sollten in Relation zu den vor der Transplantation vorhandenen gesetzt und nicht losgelöst beurteilt werden. Jeder, der transplantiert wird, war meist schon lange, lange vorher Patient, musste mit Ängsten vor dem Tod und Depressionen leben, hat händeweise Tabletten zu sich nehmen müssen und war vom Tod bedroht, sonst kommt man nämlich gar nicht auf eine Transplantationswarteliste. Viele sterben übrigens während des Wartens auf dieser Warteliste, da sie nicht rechtzeitig ein Organ erhalten. Dabei wünscht sich garantiert kein Organempfänger den Tod eines anderen Menschen herbei, um weiterleben zu können, sondern empfindet vielmehr ein großes Dankbarkeitsgefühl dem Verstorben gegenüber, dass dieser in (und nicht mit ) seinem Tod einem anderen ermöglicht hat weiterzuleben.
Sicher gibt es in Bezug auf die Transplantationsmedizin einige zu diskutierende Aspekte, sei es beispielsweise die Hirntoddiskussion (die in der Form nicht geführt werden müsste, wenn mehr Menschen Organspendeausweise hätten), eine Verteilungsgerechtigkeit der Organe oder der sicher oft unzureichende Umgang des medizinischen Apparates mit den Angehörigen von Organspendern. Auch sind das Explantieren (das von Angehörigen im Nachhinein oft als Ausweiden empfunden wird) und die damit verbundenen Vorstellungen sowohl für Angehörige als auch das medizinische Personal oder einen Organempfänger eine wenig schöne Angelegenheit. Hier gibt es gravierenden Bedarf zum Beispiel für eine psychosoziale Angehörigenbetreuung. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass all diese Organe im Zweifelsfall Leben retten.
Daher ist es wenig hilfreich, wenn Frau Bergmann die Transplantationsmedizin in die Kontinuität der Menschenversuche der Nazis stellt. Denn der Transplantationsmedizin geht es darum, Leben zu retten, im Gegensatz zu den Nazis. Weiterhin verwechselt Frau Bergmann in ihrem Artikel Ursache und Wirkung. Letztlich ist es in einem kapitalistischen System immer schwierig, etwas, egal was, ethisch korrekt einzusetzen. Daher sollte man als Schlussfolgerung aus Fehlern nicht zwingend das Thema als solches, hier die Transplantationsmedizin, sondern das System, also die Anwendung und Umsetzung, angreifen und kritisieren. Dies kommt in Frau Bergmanns Beitrag leider nicht vor. Das hätte ich von jemandem, der/die Politik studiert hat, durchaus erwartet. JENS WERRES, Hamburg
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