: Kanther und die Rechtsextremen
■ Das lange Gezerre zwischen Brandenburgs Innenminister Ziel und dem Bundesinnenminister um ein Parteienverbot
Potsdam (taz) – Bundesinnenminister Manfred Kanther ist nach Ansicht des brandenburgischen Verfassungsschutzes dafür verantwortlich, daß ein mögliches Verbot der größten rechtsradikalen Organisation in den neuen Bundesländern, dem „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ), und seiner Nachfolgerin, der „Direkten Aktion/Mitteldeutschland“ (JF), nicht ausgesprochen wurde. Kanther sei „übervorsichtig bei solchen Dingen“, kritisieren die Verfassungsschützer. Der Innenminister hat offenbar Angst, sich ein Gerichtsverfahren wie nach dem Verbot der „Nationalistischen Front“ (NF) im November 1992 einzuhandeln. Auch aus dem Potsdamer Innenministerium war zu hören: „Kanther hat den Zeitpunkt des Verbots verpaßt.“ Bereits Ende Mai 1993 hatte Alwin Ziel, Brandenburgs Innenminister, das Verbot des „Förderwerkes“ gefordert. Das FMJ und die „Sozialrevolutionäre Front“ (SrA) galten als Seitenableger der NF. In der FMJ-Zeitung Angriff offenbarte sich die Struktur der Organisation: das Förderwerk als Massenorganisation, die SrA als „Kaderpartei“.
Wäre das FMJ nur in Brandenburg tätig gewesen, hätte Ziel die Nazi-Vereinigung bereits im Mai von sich aus verboten. Nachdem sich das FMJ aber auch auf anderer Bundesländer ausweitete, war das Bonner Ministerium zuständig. Das leitete vor knapp einem Jahr zwar ein Verbotsverfahren ein, doch das „Förderwerk“ kam dem zuvor: Im Juni 1993 löste es sich – offiziell jedenfalls – auf.
Auf den Zeitpunkt, zu dem ein Verbot ins Haus stehen könnte, hatte sich das FMJ vorbereitet. Bei einem Verbot, so ein internes Rundschreiben, müßten sich die Mitglieder „lediglich an einen anderen Namen gewöhnen“. Und so kam es auch: Das FMJ nannte sich schlicht um in „Direkte Aktion/ Mitteldeutschland“.
Unterdessen lieferte Brandenburgs Verfassungschef Wolfgang Paff immer mehr Informationen über das FMJ und die „Direkte Aktion“ an die Bundesbehörde. Darunter vor allem, so Jörg Milbradt vom Brandenburger Verfassungsschutz, „interne Papiere“, die im Rahmen polizeilicher Ermittlungen sichergestellt wurden, und Nachweise über „konspirativ geplante Aktionen“. „Die Verfassungswidrigkeit“, so Milbradt, „war hinreichend belegt.“
Führerfiguren der „Direkten Aktion“, so die brandenburgischen Erkenntnisse, waren Enno Gehrmann und Jens Og. Zugleich wurden Namen von angeblichen Vorstandsmitgliedern sichergestellt, die nach Ansicht der Verfassungsschützer gefälscht waren.
Aber Kanther wollte auf Nummer Sicher gehen und die Adresse der Vorstandsmitglieder herausfinden. Verbote für Vereine müssen nach dem „Vereinsrecht“ an den Vorstand gerichtet sein, sonst sind sie ungültig. Der Innenminister regte deshalb eine länderübergreifende Razzia an, die zu diesem Zeitpunkt, so Milbradt, „für das Verbot nicht nötig gewesen“ wäre.
Am 20. Januar schließlich fand die Durchsuchung in fünf Bundesländern statt. Über fünfzig Wohnungen, Büros und Postfächer wurden durchsucht. Sichergestellt wurden vor allem weitere interne Papiere, verschlüsselte Abrechnungslisten, Kartenmaterial für geplante Aktionen in Polen, Nachweise über Kontakte zu in- und ausländischen Organisationen und zwei Seitengewehre. Es stellte sich heraus, daß die von der „Direkten Aktion“ geführten Vorstandsmitglieder tatsächlich nicht existierten.
Doch auch jetzt zögerte Kanther so lange, bis die „Direkte Aktion“ im März wieder von der Bildfläche verschwand und sich nach Informationen des Potsdamer Verfassungsschutzes in einzelne Untergruppen aufteilte.
Nun fordert das Bundesinnenministerium von den Brandenburgern einen Nachweis darüber, daß die „Direkte Aktion“ getarnt im Untergrund weiter tätig ist. Oder Belege dafür, daß die kleineren Nachfolgeorganisationen wiederum „verfassungswidrig“ agieren. Diesen Nachweis können die Brandenburger jedoch nicht liefern, denn die Ermittlungen beginnen jetzt von vorn. Anja Sprogies
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