■ Kann die schon fast beschlossene Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas doch noch verhindert werden?: Jenseits der Fristen – endlich eine neue Chance für den Frieden
Die Verwirrung ist groß, obwohl der Wortlaut des Nato-Ratsbeschlusses von Mittwoch abend eindeutig ist. Der Begriff „Ultimatum“ kommt weder im englischen Original noch in der deutschen Übersetzung vor. Ein Ultimatum, bei dem Luftangriffe auf serbische Stellungen um Sarajevo automatisch erfolgen können, wenn diese nicht innerhalb der heute mittag beginnenden Zehntagefrist geräumt werden, hat die westliche Allianz den bosnischen Serben nicht gestellt. Sie hat lediglich eine Frist für den Rückzug der schweren Waffen um Sarajevo beschlossen. Nach deren Ablauf sollen/können die Unprofor-Kommandanten das Nato-Kommando Süd um Luftangriffe ersuchen, die dann erfolgen müssen.
Das mag wie Haarspalterei klingen, ist aber eine nicht unwichtige Unterscheidung, die auch der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić sehr genau begriffen hat. Statt der erwarteten Bereitschaft zum Abzug der schweren Waffen trat Karadžić gestern in Genf mit der Ankündigung eines Verhandlungsboykotts und mit der Forderung nach „unabhängiger“ Untersuchung des Massakers von Sarajevo auf.
Mit ihrer Entscheidung hat die Nato den Ball, der seit dem eindeutigen Anforderungsbrief von UNO- Generalsekretär Butros Butros Ghali vom Montag klar in Brüssel lag, wieder zur Hälfte an die UNO zurückgespielt. Dennoch ist der Brüsseler Beschluß das bisher deutlichste Signal der westlichen Militärallianz seit Beginn der serbischen Aggression gegen Bosnien vor 22 Monaten. Und es ist nicht auszuschließen, daß dieses Signal die bosnischen Serben schließlich tatsächlich zum Abzug ihrer schweren Waffen bewegt oder gar zum Abschluß eines Separatfriedens für Sarajevo am Genfer Verhandlungstisch.
Doch selbst wenn der Nato-Beschluß diesen erhofften Effekt haben sollte, wird er längerfristig keine positiven Auswirkungen auf eine politische Gesamtlösung des Konflikts in Bosnien-Herzegowina haben. Eine solche positive Wende würde voraussetzen, daß die Europäische Union und die UNO jetzt endlich ihre Vermittlungsstrategie korrigieren. Diese zielt bislang auf eine Zerschlagung des von 178 anderen Ländern anerkannten UNO-Mitgliedsstaates Bosnien- Herzegowina ab – und damit auf die weitgehende Anerkennung der durch Aggressionskrieg und ethnische Säuberung geschaffenen Fakten. EU und UNO müssen zu den Prinzipien der Londoner Konferenz vom August 92 und der UNO-Charta zurückkehren und eindeutig auf die Erhaltung Bosnien-Herzegowinas in seinen derzeitigen Grenzen hinarbeiten.
Die Gelegenheit für eine solche Kurskorrektur ist günstiger als je zuvor seit dem Scheitern des Vance- Owen-Planes im Mai letzten Jahres. Denn die übergroße Mehrheit – nämlich 650.000 der 780.000 bosnischen Kroaten –, die zu keinem Zeitpunkt durch die von UNO und EU als Genfer Verhandlungspartner der bosnischen Regierung anerkannten westherzegowinischen Regionalfürsten Mate Boban und Mile Akmadžić repräsentiert wurden, haben auf ihrer großen Versammlung am letzten Sonntag in Sarajevo endlich ihre eigenen Vertreter für die Verhandlungen in Genf bestimmt. Ihr Vorschlag, den sie bereits vorletzte Nacht in Genf dem bosnischen Premierminister Haris Silajdžić unterbreiteten, sieht den Erhalt der Republik Bosnien-Herzegowina und ihre Untergliederung, nicht Aufteilung, in drei Großregionen sowie in 17 multikulturelle Kantone vor. Das ist das vernünftigste Modell, das seit Beginn der Genfer Konferenz im September 92 überhaupt entwickelt wurde.
EU und UNO müssen dem Anspruch dieser bosnischen Mehrheitskroaten auf offizielle Beteiligung an den Genfer Verhandlungen jetzt nachkommen. Und die EU muß den Druck auf Kroatiens Präsident Franjo Tudjman verstärken, diese von seinem Außenminister Mate Granić in Genf bereits befürwortete bosnisch-kroatische Mehrheitslinie jetzt ebenfalls zu unterstützen, statt weiterhin auf die Dreiteilung Bosniens zu setzen. Um dies zu erreichen, sollte die Regierung Kohl/Kinkel endlich ihre Einfluß- und Druckmöglichkeiten gegenüber Zagreb voll nutzen und sich innerhalb der zwölf EU-Partner für eine Kurskorrektur der Brüsseler Bosnien-Politik einsetzen.
Andreas Zumach, Genf
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