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Kampfschrift gegen Bologna-UniversitätPartisanen der Erkenntnis

Der Philosoph Reinhard Brandt fordert eine kritische Universität jenseits von Bologna. Mit der bloßen Vermittlung und Akkumulierung von Wissen werde sie ihrer Aufgabe nicht gerecht.

Der Bologna-Prozess zementiert die Zwei-Klassen-Universität. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Umsetzung der Bologna-Beschlüsse ist für die Universitäten eine Katastrophe. Diese auf einen kurzen Nenner gebrachte ernüchternde und provozierende Bilanz zieht der Philosophieprofessor und Kant-Experte Reinhard Brandt in seiner "Verteidigungsschrift" "Wozu noch Universitäten?".

Bei dem Philosophen, der lange Zeit an der Universität Marburg forschte und lehrte, fällt die Antwort drastisch aus. Der Professor emeritus - in Kürze kann Brandt seinen 74. Geburtstag feiern - hat eine Kampfschrift zur Verteidigung einer unabhängigen und kritischen Universität geschrieben.

Ziel der Bologna-Beschlüsse sind unter anderem die Schaffung international vergleichbarer Studienabschlüsse sowie ein strukturiertes Studium. Für Brandt ist das Problem jedoch die Umsetzung dieser Beschlüsse.

Nicht nur, dass Politiker und Bürokraten die Herrschaft über die Universitäten übernehmen. "Mit ihrer Planwirtschaft und dem Wahn nach dem Punktesammeln" ruinieren die "Verwalter" die Universitäten, schreibt Brandt.

Durch die von außen aufgezwungene Modularisierung wird "die Freiheit der Studierenden" eingeengt. Die Freiheit, auch einmal in andere Fachgebiete reinzuhören, können sich die Studierenden mit Bologna nicht mehr leisten. Mit dem Schnellstudium ordnen sich die Universitäten den Bedürfnissen der Industrie unter.

Brandts Streitschrift zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Vorstellung einer zeitgemäßen Universität kenntnisreich aus der Geschichte herleitet.

Er greift zurück auf die Klassiker der Antike, zitiert die Wissenschaftstheorien der altgriechischen Philosophen Platon und Aristoteles, beschreibt die Anfänge der modernen Universitätsgeschichte.

Der Leser bekommt eine Ahnung von der Bedeutung und Ausstrahlkraft der ersten Universitäten in Bologna und Paris.

Für Brandt ist der Kern jeder Universität das Streben nach Erkenntnis. "Forschung und Lehre", das sind für Brandt Erkenntnisse und Erkenntnisfähigkeit.

Eine nur auf Vermittlung und Akkumulierung von Wissen ausgerichtete Institution hätte nach Brandt das Recht verwirkt, sich überhaupt noch Universität nennen zu dürfen.

Brandt fordert die Abschaffung von Zensuren und ständigen Benotungen von numerisch kontrollierbaren Leistungen. Stattdessen sollten die Studierenden ein Zertifikat über die an der Universität gewonnenen "Erkenntnisfähigkeiten" erhalten.

Diese sollten aufgelistet und beschrieben werden. "Fächer, in denen das nicht möglich ist", hätten an der Universität nichts zu suchen. Sie sollten sich lieber an die Volkshochschule wenden.

Mit dem Übergang zur Massenuniversität - Brandt setzt als Zäsur das Jahr 1968 - gaben die Universitäten zunehmend ihr Recht auf Selbstorganisierung und Selbstverwaltung auf. Sogar die Studieninhalte werden mittlerweile zum Teil von Verwaltern und Bürokraten vorgegeben.

Dazu kommt der Rückzug des Staates als Finanzier und damit als Garant unabhängiger Forschung und Lehre. Der Kampf um Drittmittel auch aus der Industrie zwingt die Universitäten, sich den Bedürfnissen und Vorgaben der Industrie unterzuordnen. Die Umsetzung der Bologna-Beschlüsse ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.

Aber was tun?, fragt Brandt. "Partisan der Erkenntnis werden", so seine Antwort: "Das Regime der Bürokraten demaskieren und schwächen, wo und wie immer es möglich ist."

Für Brandt sind es nur die Universitäten selbst, die die Begierden und Vorgaben der Politiker und Bürokraten abwehren können. Doch hier muss dem Philosophen widersprochen werden.

Gerade die in Bologna beschlossene Umstrukturierung der Universitäten und deren von der Bürokratie und Wissensmanagement-Unternehmen vorangetriebene Umsetzung zeigt, dass dort nicht der Hort des Aufbegehrens und des Widerstands ist.

Nur wenige Hochschullehrer, und dann auch erst sehr spät, versuchten der Bologna-Universität entgegenzusteuern. Es sind dann auch die Studenten, auf die der Philosoph Brandt jetzt setzt.

Doch diese brauchen vielfältige Unterstützung auch außerhalb der Universität, sonst wird der Weg fortgesetzt, an dessen Ende die endgültige Auflösung der Erkenntnis-Universität steht.

Reinhard Brandt: "Wozu noch Universitäten? Ein Essay". Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011, 250 Seiten, 18,90 Euro

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4 Kommentare

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  • M
    Markus

    die konsequenzen einer solchen entwicklung sind heute noch gar nicht absehbar. nur soviel steht fest: bislang haben die universitäten im großen und ganzen richtig damit gelegen, ihre unabhängigkeit zu wahren. es kann nicht angehen, dass man selbst in der antike(!) emanzipierter war als heute.

  • R
    reblek

    "Eine nur auf Vermittlung und Akkumulierung von Wissen ausgerichtete Institution hätte nach Brandt das Recht verwirkt, sich überhaupt noch Universität nennen zu dürfen."

    Nicht wirklich, Herr Löhr, denn "Recht" und "dürfen" meinen dasselbe. Niemand hat etwas von einem "Recht, etwas zu dürfen". Es geht um das Recht, etwas zu tun. Hier folglich um das Recht, sich (nicht) Universität zu nennen.

  • DR
    Dr. rer. Nat. Hafrald Wenk

    Wie so oft läßt sich der Professor vom "Gegner" Industrie und Politik, Wirtschaft zuviel bestimmen.

    Die Verbindung von Universität und Wirtschaft, Politik und Industrie und Schule reflektiert die BEDEUTUNG von ERKENNTNIS und WISSENSCHAFT für die Gesamtgesellschaft.

    Als die höchsten und besten Fähigkeiten des Menschen auch in seinen Kollektiven, SOLLTE WISSENSCHAFT DIE DIE WELT AUCH PRAKTISCH BESTIMMEN, nicht nur an der Universität.

     

    Es sind die Besitz- und Machtverhältnisse, der Finanzkapitalismus mit staatlichem Anhang,

    die bis zur Deformierung der Universität und DER MENSCHEN durchschlagen.

    Das war der "Ausgangspunkt" von 68.

    Die "unten" sind doch etwas konsequenter im Durchhalten von richtigen Forderungen die seit Jahrhunderten nicht erfüllt werden.

     

    Wenn der Professor meint, nur die Kürze de Rezession lasse das unter den Tisch fallen: gut.

    Ansonsten hat der Artikelautor mit seinem Aufruf, die Universität auch von ALLEN politisch zu unterstützen mehr als recht, Zusatzargumentation: siehe oben.

  • G
    G.Huber

    Es gibt sie doch noch: die Profs, die vor den vorgeschobenen "Sachzwängen" von Verwaltern und Politikern am Futtertrog der Industrielobby nicht einknicken, sondern den Primat der Erkenntnis als eigenständigen und unabhängigen Weg zum Wissen vor jeder Verzweckung von Mensch und Wissen hochhalten.

    Ich freu mich als praktizierender Geisteswissenschaftler über das Engagement von Prof. Reinhard Brandt. Dank und Anerkennung!