Kampf um die Fiinanzen der Berliner Bezirke: Ein Stadtrat bläst zum Marsch
Der Senat spart die Bezirke tot, und alle machen mit, denn bei Weigerung droht die Haushaltssperre. Nun ist der Pankower Kulturstadtrat Michail Nelken ausgeschert - und bekommt prompt die gelbe Karte.
Michail Nelken ist nervös. Für Mittwoch, 13 Uhr, hat er eine Pressekonferenz angesetzt, am Abend will ihm die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow das Misstrauen aussprechen. Eilig sortiert der bärtige Kulturstadtrat der Linken seine Papiere. Sie tragen die Überschrift: "Kommunale Kultur in Pankow in Not".
In Not sind die Musikschulen und Bibliotheken des Wohlfühlbezirks tatsächlich. 600.000 Euro jährlich soll Nelken für den Doppelhaushalt 2010/2011 sparen, den der Bezirk gerade berät. Das klingt wenig bedrohlich. "Doch die Alternative ist, Einrichtungen zu schließen." So diktiert es Nelken den Journalisten in den Block.
Bald zu: Das Bezirksamt sieht sich gezwungen, richtig an die Substanz zu gehen: Die Hälfte der Seniorenfreizeitheime soll schließen, einige Kinder- und Jugendeinrichtungen, der Standort einer Bibliothek und Kultureinrichtungen. Der Bezirk steht laut Finanzstadtrat Rainer-Maria Fritsch (Linke) "vor der ausgesprochen schwierigen Aufgabe, 25 Millionen Euro zu sparen".
Die Stimmung: Derzeit ist es noch ruhig in Mitte. Aber das liegt nur an den Ferien, meint Fritsch. Er stellt sich auf turbulente Zeiten ein: "Im September brennt hier die Luft." Dann beginnen im Bezirksparlament die Beratungen über den Haushaltsentwurf der Verwaltung.
Keine Tricks: Fritsch hält nichts davon, die einzusparenden Beträge als "pauschale Minderausgaben" einzustellen und später zu entscheiden, wo genau der Rotstift angelegt wird: "Wer das macht, verschiebt Entscheidungen in die Zukunft - aber wir müssen das jetzt angehen."
Bleibt offen: Der Bezirk Reinickendorf versucht, nicht an die Substanz zu gehen. "Ich denke, dass wir dieses Jahr ohne Schließung auskommen", sagt Bezirksbürgermeister Norbert Kopp (CDU). "Doch auch wir haben Mühe gehabt, einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf aufzustellen." Dafür setzt der Bezirk unter anderem seine Rücklagen ein - jeweils drei Millionen Euro im Jahr 2010 und 2011. Danach sind die Rücklagen so gut wie aufgebraucht.
Zeitplan: Die Stadträte haben bereits die Eckwerte für den kommenden Doppelhaushalt beschlossen. Jetzt müssen die einzelnen Abteilungen daraus einen detaillierten Haushaltsvorschlag machen, aus dem sich alle Posten einzeln ergeben. Laut Kopp muss die Abteilung für Jugend, Schule, und Umwelt noch Möglichkeiten zur Einsparung von 900.000 Euro finden; bei der Abteilung für Gesundheit, Wirtschaft und Verkehr sind es 300.000 Euro. Am 23. September beginnen die Beratungen im Bezirksparlament.
Bibliotheken zumachen, Volkshochschulen schließen, Musikschüler vertrösten - das will der gelernte Philisoph und Parteilinke Michail Nelken vermeiden. Also ist er ausgeschert aus dem eingeübten Procedere: Statt die Sparsumme auf seine Haushaltstitel zu verteilen, hat er die 600.000 Euro als "pauschale Mindereinnahme" ausgewiesen, ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Vielleicht gibt es ja doch noch mehr Geld vom Senat, hofft er. So ganz glaubt er es selbst nicht.
Die Bezirke werden totgespart, Jahr für Jahr, Doppelhaushalt für Doppelhaushalt. Das betrifft vor allem die Kultur- und Bildungseinrichtungen. Anders als die Pflichtaufgaben Wohngeld oder Sozialhilfe zählen diese Posten zu den so genannten freiwilligen Aufgaben. Viel Spielraum bleibt den Bezirken nicht. Musikschulen oder Stadtteilbibliotheken sind der Luxus, den sich ein Bezirk leistet.
Michail Nelken blättert sich durch seine Presseerklärung. Er versucht dem Klischee entgegenzutreten, dass sich Pankow besonders viel Luxus gönnt. Immerhin sind zwischen Buch und Prenzlauer Berg 26 Musikschullehrer fest angestellt; in Neukölln dagegen, wo es fast ebenso viele Musikschüler gibt, sind es nur acht.
"Was die Gesamtsumme der bezirklichen Ausgaben für Kultur angeht", sagt Nelken, "liegt Pankow zwar an Nummer drei. Bei den Ausgaben pro Einwohner jedoch kommt der Bezirk nur auf Platz zehn." Die Botschaft ist klar: Pankow ist auf dem Weg zum Schlusslicht. Bei einem Schlusslicht darf man nicht kürzen, sonst gehen die Lichter aus. Luxus sieht anders aus.
Immerhin: Einen Lichtblick gibt es. In der "Kosten- und Leistungsrechung" (KLR) - der Bemessungsgröße für die Globalsumme, die der Finanzsenator den Bezirken zuweist - war eine Muskikschulenstunde in Pankow wegen der festangestellten Lehrer bislang teurer als in anderen Bezirken. Nun hat eine Senatskommission vorgeschlagen, auch in den anderen Bezirken mehr Musiklehrer fest anzustellen.
"Damit werden die Musikschulstunden in den anderen Bezirken teurer, und es gibt mehr Geld vom Senat", rechnet Nelken am Mittwochabend in der BVV vor. Wann, kann er nicht sagen. Das gilt auch für weitere Zuweisungen, die der Senat den Bezirken in Aussicht gestellt hat. Für Nelken selbst könnte es zu spät sein.
"Wir wollen, dass der Stadtrat für Kultur die gelbe Karte kriegt", poltert Philipp Lengsfeld ins Mikrofon im Pankower BVV-Saal. Der smarte Sohn der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, einst bei den Grünen, nun Wortführer der CDU-Fraktion, findet, dass Michail Nelken mit seiner Verweigerungshaltung und dem Spiel auf Zeit seine Kollegen im Bezirksamt brüskiert hat. Lengsfeld wörtlich: "Im Fußball würde der Schiedsrichter sagen: So nicht, mein Freundchen, sonst gibt es ne rote Karte."
CDU und Grüne in der Pankower BVV nehmen übel. Deshalb haben sie den Antrag gestellt, das Verhalten des Stadtrats zu missbilligen. Linken-Fraktionschef Michael van der Meer dagegen findet Nelkens Strategie "ein normales Vorgehen". Hinter vorgehaltener Hand raunt ein Linker, dass grüne und CDU-Wähler ihre Kinder ohnehin auf private Musikschulen schicken würden.
Laut würde das keiner sagen, auch nicht die grüne Fraktionsvorsitzende Stefanie Remlinger. Laut sagt sie: "Haushaltssperren sind Tod, ich will Leben, ich will Freiheit." So wie es jeder ausdrücken würde, in jedem Bezirk. So ist das Spiel: Der Senat spart, die Bezirke setzen um. Alle machen mit. Bis es nichts mehr gibt zum Umsetzen.
Dass sich Michail Nelken dem Spiel nun verweigert, lässt aufhorchen. Eine berlinweite Debatte will er führen, sagt er, so gehe es schließlich nicht weiter. Doch wer ist der Adressat der Rebellion: Der Finanzssenator? Die anderen Stadträte? Die Opfer möglicher Schließungen? Michail Nelken bleibt die Antwort schuldig. So geht es nicht weiter, das meint er wirklich so. Was danach kommt, weiß auch er nicht.
Neu ist die Rebellion auf Bezirksebene nicht. Auch der ehemalige Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, Uwe Klett, wollte einmal nicht mehr mitspielen. Daraufhin wurde er von seiner eigenen Partei, der Linken, abserviert. Lieber wenig Geld in den Bezirken als gar keine Bezirke mehr. Auch die Linke hat die Lektion gelernt.
Michail Nelken tritt ans Mikrofon im BVV-Saal. Er verteidigt sich gegen die Vorwürfe der schwarz-grünen Bezirksopposition - und weiß gleichzeitig, dass er sich auch seine Stadtratskollegen zu Gegnern gemacht hat. Die haben ihre Sparvorgaben brav umgesetzt.
Nelkens Verweigerung ist, laut den Spielregeln, nämlich ein unkollegiales Verhalten. Nur offen sagen darf das keiner. Das Bezirksamt ist nach dem Berliner Bezirksverwaltungsgesetz ein "Kollegialorgan", es spricht mit einer Stimme. Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD), der Chef des Kollektivs, sagt nur soviel: "Ich hatte keine andere Wahl. Nelkens Verhalten hat mich gezwungen, die Titel im Haushaltsentwurf zu sperren."
Kurz vor der Abstimmung verlangt die SPD eine Auszeit. Erst 15 Minuten, dann noch einmal zehn. Nicht nur Nelken ist nun nervös, auch die linken Abgeordneten beginnen zu tuscheln. Dann ruft der Bezirksvorsteher zur Abstimmung: Grüne und CDU stimmen gegen Nelken, die Linke für ihn, die SPD enthält sich. Macht 13-Ja-Stimmen, 9-Nein-Stimmen, 9 Enthaltungen. Offiziell gerügt ist Nelken damit nicht, dafür hätte es der Mehrheit auch der nicht anwesenden BVV-Mitglieder bedurft. Angezählt ist er schon.
"Es ging nicht nur um den Haushalt", sagt der SPD-Abgeordnete Klaus Mindrup nach der Sitzung, "es ging auch um die Amtsführung des Stadtrats Nelken." Einen Rücktritt hat der rebellische Stadtrat bislang ausgeschlossen. "Damit rette ich die Musikschulen nicht."
Und wenn er sie auch im Amt nicht rettet? Der rebellische Exbürgermeister Klett aus Marzahn-Hellersdorf ist inzwischen Bürgermeister einer Berliner Umlandgemeinde. Dort, sagt er, seien die Spielräume für Kommunalpolitik weitaus größer als in jedem Berliner Bezirk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“