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Kampf um Norwegens ÖlpolitikEin Urteil von gestern

Reinhard Wolff
Kommentar von Reinhard Wolff

Norwegens Ölpolitik ist nicht mehr angesagt. Auch bei seinen Bürgern nicht. Womöglich bekommt das Land bald Nachhilfe von jenseits des Atlantiks.

60 Prozent der NorwegerInnen lehnen einen weiteren Ausbau der Ölsuche im Barentsmeer ab Foto: Alister Doyle/reuters

I mmerhin mehr als ein Viertel der 15 RichterInnen des Obersten Gerichtshofs Norwegens wollten Greenpeace & Co im Ergebnis recht geben: Die Zuteilung neuer Öllizenzen im Barentsmeer war illegal. Das ist ein schwacher Trost, zeigt aber auch, wie viel sich in vier Jahren bewegt hat. Als die Umweltschutzorganisationen 2016 ihre Klimaklage einreichten, gab es kaum JuristInnen, die ihnen Chancen einräumten. Vielmehr warf man ihnen vor, mit ihrem Versuch über ein Gerichtsverfahren die politische Handlungsfreiheit einschränken zu wollen, die Demokratie zu untergraben.

Inzwischen geriet Oslo zunehmend unter Druck. Vor einem Monat glaubte der Prozessvertreter der Regierung sogar bestreiten zu müssen, dass sich aus dem Pariser Klimaabkommen irgendwelche internationalen Verpflichtungen ableiten ließen. Worauf er nur noch erstauntes Kopfschütteln erntete. An Ignoranz übertroffen wurde das eigentlich nur noch von der Einschätzung des Gerichtshofs, die Menschenrechte seien „nicht relevant“ für die Klimafrage.

Die Debatte über Norwegens Ölpolitik ist mit dem Urteil nicht beendet, sie wird jetzt erst richtig losgehen. Weder die Politik noch das jetzige Urteil stehen noch mit der Meinung der Bevölkerungsmehrheit in Einklang. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 60 Prozent der NorwegerInnen einen weiteren Ausbau der Ölsuche im Barentsmeer ablehnen. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar 71 Prozent. Im September 2021 stehen Parlamentswahlen an. Die Parteien werden Auskunft geben müssen, wie sie das Land auf das Ende des Ölzeit­alters vorbereiten wollen.

Und falls Norwegen das nicht alleine schafft, bekommt es womöglich bald Nachhilfe von jenseits des Atlantiks. Joe Biden hat den Vorschlag für ein Ölmoratorium aller Anrainerstaaten der Arktis angekündigt. Sollte sich ausgerechnet Norwegen so einer Initiative des US-Präsidenten widersetzen wollen? Dann könnte das Land, das seit 1990 keins seiner selbstgesetzten Klimaziele erreicht hat, seinen nach wie vor ungerechtfertigt guten internationalen Ruf als Klimavorbild endgültig begraben.

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Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
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1 Kommentar

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  • Hier geht mir viel zu viel die "Meinung der Bevölkerung" (die sich bekanntlich gerne stündlich mit dem Wetter ändern kann) mit "Gesetzeslage" und "Gerichtsurteil" durcheinander.



    Sollte die Bevölkerung mit den Gesetzen nicht zufrieden sein, kann sie im politischen Prozess entsprechend agieren.



    Ein Gericht hat die bestehenden Gesetze zu befragen und nicht Stimmungslagen aus Meinungsumfragen. Und ebensowenig hat es auf mögliche Drohszenarien aus dem Ausland zu reagieren.



    Genausowenig hat ein Gericht mögliche Beschlüsse eines Anschlusses an ein Moratorium zu berücksichtigen. Das nennt man unter anderem Gewaltenteilung.

    Ich halte das für ziemlich grundlegende Fragen, die eigentlich längst beantwortet sind.