Kampf um Gartenstadt: Siedler sollen Neubauten weichen
Die Wulffsche Siedlung in Langenhorn soll abgerissen werden. Die Bewohner fürchten, dass die Neubauten für sie zu teuer werden. Nun organisieren sie den Widerstand.
Noch ist die Wulffsche Siedlung im Hamburger Stadtteil Langenhorn eine Gartenstadt, und die Mieten der über 500 Wohnungen aus den 40er und 50er Jahren sind günstig. Doch der Abriss droht: Der Entwurf für einen neuen Bebauungsplan Langenhorn 73 sieht auf dem Gelände Neubauten mit bis zu 800 Wohneinheiten vor.
Konkrete Pläne hat der Investor bisher angeblich nicht. Die Hansa-Grundstücksverwaltung spricht jedoch von familiengerechten, also größeren Wohnungen. Die bisher 50-Quadratmeter großen Wohneinheiten entsprächen nicht mehr dem heutigen Standard.
Anwohner und Mieter wollen sich das nicht gefallen lassen, mit ihrer Bürgerinitiative "Stoppt Langenhorn 73" arbeiten sie auf ein Bürgerbegehren hin. Bis Mai brauchen sie 6.500 Unterschriften, um den neuen Bebauungsplan zu verhindern.
Die bei größeren Neubauwohnungen zu erwartenden höheren Mieten könnten die jetzigen Mieter nicht bezahlen, sagt Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern. "Dann ist in weiten Teilen ein Austausch der Bewohnerschaft zu befürchten."
Im Kern 1942 erbaut, ist die Wulffsche Siedlung eines der wenigen Wohnungsbauvorhaben der Nazizeit, das im Zweiten Weltkrieg realisiert worden ist.
Der Name geht auf die Bauernfamilie Wulff zurück, der das Gelände vor dem Krieg gehörte.
Eigentümer sind die Familien Pisani und Rickertsen / Haas. 2010 verkauften sie rund 50 Prozent des Wohnungsbestandes an die Stuttgarter GWG Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau.
Zu einer Infoveranstaltung laden Bürgerinitiative und Mieter helfen Mietern am 11. Januar, 19 Uhr, in den Gemeindesaal der Ansgar-Kirche, Wördenmoorweg 22.
Die verdichtete Bebauung würde außerdem den Gartenstadt-Charakter zunichte machen. Die vorhandenen Mietshäuser sind zweigeschossig, mit Satteldächern. Geplant sind drei-und viergeschossige Gebäude plus Staffelgeschoss. Laut Initiative sind im Bebauungsplan-Entwurf keine Grünflächen ausgewiesen.
Geändert werden soll der bestehende Bebauungsplan laut Hansa und dem Planungsbüro Plankontor, weil er eine zu geringe Baubreite von durchschnittlich 8,50 Meter festschreibe. Üblich seien heute 11,50 Meter. Das verhindere umfangreichere An- und Umbauten, etwa um den Gebäudebestand energietechnisch zu sanieren oder barrierefrei zu machen. Verdrängt werden solle niemand. "Wir wollen die Neubauten sukzessive in einem Prozess von 20 Jahren errichten", sagt Jörg Drefers von der Hansa-Grundstücksverwaltung.
Doch Anlass zu Misstrauen gibt den Bewohnern der Wulffschen Siedlung die Vorgehensweise. Von den Neubau-Plänen erfuhren sie im vergangenen Juni. "Da waren die Planungen aber schon zwei, drei Jahre im Gange", berichtet Michael Kuckhoff, Sprecher von "Stoppt Langenhorn 73". Die Eigentümer-Familien Haas, Rickertsen und Pisani holten sich 2010 die GWG-Unternehmensgruppe aus Stuttgart als Partner ins Boot. Hauptgesellschafter der GWG ist die R+V Versicherung.
Die bisherigen Gespräche mit Grundstücksverwaltern und Lokalpolitikern liefen aus Sicht der Initiative nicht zufriedenstellend. Doch inzwischen wollen Eigentümer wie Politik Zugeständnisse machen. Erwogen wird eine geringere Geschosszahl und damit eine geringere Gebäudehöhe. "Eventuell kann man auch noch mal ganz neu planen", sagt Gebhard Kraft von der Langenhorner CDU. Auch SPD-Bezirksfraktionschef Thomas Domres kann sich eine Veränderung des Bebauungsplans vorstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe