: Kampf gegen das Ungewisse
Die 23-jährige Alia hilft bei der Leichenidentifizierung in der thailändischen Stadt Takua Pa. Es geht nur mühsam vorwärts. Die Bürokratie bremst
AUS TAKUA PA UND PHUKET NICOLA GLASS
Es ist heiß und stechend, ein starker Geruch hängt in der Luft. Nach Tod und Verwesung, nach Chemikalien, nach Schweiß. Entstellte Gesichter, aufgeblähte Körper. Tote, die keine Namen haben. Zumindest noch nicht. Und inmitten der anonymen Opfer eine junge Thailänderin: Alia hebt einen Toten an, legt ihn mit Hilfe einiger Landsleute auf eine Trage. Geht zur nächsten Leiche, schlägt sie in ein Tuch ein.
Gerade fährt ein weiterer Container mit Trockeneis aufs Gelände. Darin soll ein Teil der Toten vorerst gelagert werden. Nach vier Stunden macht Alia erschöpft eine Pause. Sie gehört zu einem Team freiwilliger Helfer. Mit ihrer Mutter und Tante ist die 23-Jährige aus Bangkok angereist. Ihren Urlaub hat sie dafür abgebrochen. Sie spricht fließend Englisch und arbeitet in der Reisebranche. „Eigentlich wollte ich mich als Übersetzerin engagieren“, sagt Alia. „Aber als ich am vergangenen Mittwoch hier angekommen bin, gab es schon so viele. Da habe ich mir überlegt, den Experten zu helfen, damit sie die Toten identifizieren können.“
Ohne das Engagement der Freiwilligen wäre gar nichts möglich. Bis zu 2.600 Flutopfer liegen allein hier im Tempel Yan Yao. Das buddhistische Kloster liegt am Ende der Hauptstraße in der Stadt Takua Pa. Sie gehört zur von den Flutwellen am schwersten betroffenen Provinz Phang Nga. Hier werden auch weiterhin die meisten Toten geborgen. Viele Leichen im Wat Yan Yao sind entstellt, kaum jemand kann sagen, ob es sich um Ausländer oder Thais handelt. Zu Beginn habe sie etwas Angst gehabt, meint Alia. Aber dann sei es wie eine normale Arbeit für sie gewesen. Sie lässt sich nichts anmerken. „Ich weiß, dass unsere Hilfe dringend gebraucht wird.“
Es geht nur mühsam voran, zusätzliche Helfer fehlen, vor allem aber Lagerplätze, Ausrüstung und Kühlbehälter. Hitze und Feuchtigkeit lassen die Toten rasch verwesen. Wenn die Identifizierungsexperten keine Fingerabdrücke mehr nehmen können, sind sie auf Gewebeproben und Zahnabdrücke angewiesen. Erleichterung ist für die Rettungskräfte nicht in Sicht. Mehrere tausend Menschen werden allein in Thailand noch vermisst.
Dr. Pornthip Rojanasunan kann ihren Unmut nur schwer zügeln. Die wohl anerkannteste Pathologin des Landes, die zurzeit im Wat Yan Yao schuftet, ist unzufrieden. Nicht mit dem Engagement der Freiwilligen. Sondern mit Thailands Bürokratie. Die zuständigen Ministerien müssten enger miteinander kooperieren, lässt sie durchblicken. Nur zehn Kühlcontainer stehen zur Verfügung. Dabei braucht man vor Ort mindestens 45, um die Leichen lagern zu können. Pornthip Rojanasunans dunkelrote Frisur ist verklebt, Schweiß rinnt ihr in Strömen vom Hals. Seit Tagen sind die Vize-Chefin des thailändischen Zentralinstituts für Forensische Wissenschaften und ihre Mitarbeiter im Einsatz. Mittlerweile arbeiten auch ausländische Experten vor Ort, Australier, Deutsche, Österreicher. „Wir tun unser Bestes, um die Toten zu identifizieren“, sagt Pornthip Rojanasunan. Die Opfer gehörten mit Respekt behandelt. Und sie sollen angemessen beerdigt werden. Thailands Behörden haben zugesagt, keinen Ausländer zu verbrennen, bevor seine Identität nicht geklärt ist. Doch das kann Wochen oder Monate dauern.
Es ist diese Ungewissheit, die am meisten schmerzt. Manche Angehörige ausländischer Touristen bleiben deshalb im benachbarten Phuket. Sie hoffen, dass vermisste Freunde oder Familienmitglieder vielleicht doch leben. Im zweiten Stock des Rathauses von Phuket-Stadt haben die Botschaften der betroffenen Länder nach der Katastrophe ein Krisenzentrum eingerichtet. Es ist leerer geworden. „Wir raten den Leuten, nach Hause zu fliegen“, sagt ein Mitarbeiter. So schwer das auch sei. Man könne die Betroffenen dort besser erreichen. Und diese würden gebeten, Haarproben oder zahnärztliche Unterlagen zu schicken. Das kann hier die Identifizierung erleichtern.
„Die Zeit ist gegen uns“, sagte noch vor wenigen Tagen Armando Coutinho, „aber ich habe immer noch Hoffnung.“ Jeden Tag ist der Portugiese aus Macao zur Anlaufstelle für ausländische Vermisste gegangen. Verzweifelt sucht er nach seiner Schwägerin, während sein Bruder die Katastrophe überlebt hat. „Mein Fall ist ja nur einer von den vielen“, sagt er. Beim Sprechen kommen ihm Tränen. „Aber ich muss darüber reden, und ich muss etwas tun.“ Gemeinsam mit anderen hat Armando Coutinho eine task force gebildet, wie er es ausdrückt. Sie forschen nach Verletzten, die in Krankenhäuser außerhalb Phukets oder nach Bangkok gebracht wurden. „Manche haben ihr Gedächtnis verloren oder stehen unter Schock.“ Die Augen blicken müde und traurig. „Wenn sie ihren Namen nicht sagen können, ist es natürlich schwierig, sie zu identifizieren.“ Die Hilfsbereitschaft unter den Menschen sei unglaublich groß, egal, ob Ausländer oder Thais. „Die Leute haben sich schließlich gegenseitig aus dem Wasser gezogen“, sagt Coutinho.
In Phuket-Stadt ist es später Abend. Mit dem Bus kommen Alia und die anderen Helfer aus Takua Pa zurück. Ihre Mutter und Tante, ebenfalls Freiwillige, erwarten sie in einem der Zelte vor dem Rathaus. Dort stapelt sich mittlerweile kistenweise Kleidung, Fertignahrung und Trinkwasser.
Tante Yasmin ist aufgebracht: Den ganzen Tag säßen sie und die anderen nun schon hier. Sie wollten endlich anfangen, die Spenden zu verteilen. Ganze Dörfer sind überschwemmt worden, die Häuser zerstört, auch für viele Thais sind die Existenzen vernichtet. Sie sagt energisch: „Die bei der Regierung zuständigen Stellen sollen uns endlich sagen, wohin wir die Sachen bringen sollen.“ Als Freiwillige können sie nun nur warten. Am nächsten Tag werden sie wieder kommen.