Kampagne gegen Korruption in China: Kommunisten sehen rot
Mit einer Reihe spektakulärer Gerichtsprozesse will China der Korruption Herr werden. Aber das berührt auch mächtige Parteiinteressen, denn auch ein KP-Funktionär ist angeklagt.
Wie viele jugendliche Liebhaber hat Xie Caiping? Sechzehn, wie chinesische Zeitungen wissen wollen, oder doch nur einen Einzigen? So viel ist sicher: In ihrer jetzigen Lage kann keiner sie trösten. Seit ein paar Tagen steht die 46-jährige Geschäftsfrau in Chongqing vor Gericht. Als Chefin einer Gangsterbande soll sie jahrelang Angst und Schrecken in der Stadt verbreitet und sich mit dutzenden illegaler Kasinos, mit Erpressung, Drogenhandel und Bestechung ein stattliches Vermögen zusammengerafft haben, lautet die Anklage.
Chongqing, Hafenmetropole am Yangtse-Fluss, ist derzeit Schauplatz des größten Schlags gegen die organisierte Kriminalität der jüngeren Geschichte Chinas. Seit Juni dieses Jahres sind mehr als ein Dutzend Banden aufgeflogen und über 1.500 Verdächtige festgenommen worden, darunter einflussreiche Geschäftsleute, Parteifunktionäre, Polizisten ebenso wie einfache Wanderarbeiter, die sich als Schläger und Geldeintreiber verdingt hatten.
Die Kampagne kommt zu einer Zeit, in der Chinas KP-Chef Hu Jintao den Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch als "überlebenswichtig" für die regierende Kommunistische Partei bezeichnet. Denn Triaden - wie Chinas Mafia traditionell genannt werden - durchsetzen die Parteihierarchie vielerorts bereits bis in die höchsten Ränge, wie auch KP-Funktionäre einräumen.
Die Unterweltkönigin Xie, eine ehemalige Angestellte der Steuerbehörde, stand unter dem Schutz ihres 53-jährigen Schwagers Wen Qiang, der als stellvertretender Polizeichef selbst eine Reihe von illegalen Kasinos führte. "Mein Schwager ist Gott und er ist das Gesetz, was habe ich da zu befürchten?", sagte sie einmal, wie Chinas Jugendzeitung schreibt. In dieser Woche fielen die ersten Urteile: Sechs Angeklagte erhielten die Todesstrafe, 25 weitere müssen bis zu 18 Jahre ins Gefängnis.
Zum Tode verurteilt wurde der Bandenchef und Bergwerksbetreiber Liu Zhongyong, der in einer Karaoke-Bar einen Mann im Streit erstochen hatte, als ihm dessen Gesang missfiel. Im Geschäftsleben war er auch nicht zimperlich: Als drei Bergleute in seiner Grube tödlich verunglückten, verprügelten Lius Schläger die Sicherheitsinspektoren, die nach den Ursachen forschen wollten. Andere Minenbesitzer zwang er, ihm ihre Kohle verbilligt zu überlassen.
Hinter der Säuberungsaktion von Chongqing steckt ein Politiker, der sich Hoffnungen auf eine große Karriere in Peking macht: Der 60-jährige Bo Xilai, ehemaliger Handelsminister und Sohn eines revolutionären Weggefährten Mao Zedongs. Bo, der bereits als Gouverneur der Nordostprovinz Liaoning Erfahrungen mit Bandenkriminalität gemacht hatte, sitzt auch im mächtigen Politbüro. Gegen den Filz in Chongqing konnte er nur ankommen, weil er seinen eigenen Polizeichef mitgebracht hatte - und sich weitere Hilfe und Polizisten von außen besorgte.
"Nicht wir waren es, die angefangen hat, die Unterwelt zu bekämpfen", zitieren Chongqinger Medien Bo. "Die Unterwelt hat uns dazu gezwungen." Die Banden hätten "unschuldige Menschen mit Macheten wie Schweine abgeschlachtet - so schrecklich, dass man nicht hinschauen kann".
Wann allerdings der KP-Pate der Gangsterbanden von Chongqing, Wen Qiang, vor Gericht kommt, ist offen. Nachdem er zugegeben hatte, zahlreiche junge Geliebte zu haben, sei seine Ehefrau so empört gewesen, berichten örtliche Zeitungen, dass sie den Ermittlern sein Geldversteck gezeigt hat - gut eingewickelt am Boden eines Fischteichs. Im September gerieten Fotos von beschlagnahmten Edelkarossen Wens und anderer Bandenchefs ins Internet, darunter mehrere Bentleys und Lamborghinis.
Derzeit wird Wen noch intern von Parteigremien verhört, wie es für Funktionäre in China üblich ist. Danach dürfte die KP beschließen, welche Anklage erhoben und welches Urteil gesprochen wird, bevor Wen einem ordentlichen Gericht übergeben wird. Gleichheit für alle Bürger vor dem Gesetz gibt es in China auch beim Kampf gegen die Bandenkriminalität nicht.
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