Kahlschlagsanierung in Berlin: "Wedding war Versuchsgebiet"
Vom Kahlschlag bis zur behutsamen Stadterneuerung war es ein weiter Weg, erinnert sich Theo Winters.
taz: Herr Winters, 1963 beschloss der Senat den Beginn der Flächensanierung im Wedding. Kam das überraschend?
Theo Winters: Ja und nein. Ja, weil im ersten Stadterneuerungsbericht von 1961 auch Alternativen zu Abriss und Neubau diskutiert worden waren. Als sogenannte Erhaltungsvariante wurde da unter anderem die Entkernung von Hinterhöfen ins Spiel gebracht. Andererseits gab es aufseiten der Architekten seit den fünfziger Jahren noch viel radikalere Pläne, in denen der historische Stadtgrundriss kaum mehr eine Rolle spielte.
Warum hat sich im Wedding nicht die Entkernung, sondern die Kahlschlagsanierung durchgesetzt?
Das war eine politische Entscheidung des Senats unter Willy Brandt. Ohne den Mauerbau wäre das nicht denkbar gewesen. Aber nach dem 13. August 1961 war der südliche Wedding von drei Seiten von der Grenze umgeben. Da konnte man mit der radikalen Variante arbeiten. Brunnenstraße und Gesundbrunnen wurden eine Art städtebauliches Versuchsgebiet. Das konnte man auch daran sehen, das elf Lehrstühle der ganzen Bundesrepublik aufgefordert waren, Neubauplanungen für Gesundbrunnen zu machen. Außerdem bauten auch namhafte Architekten wie Josef Paul Kleihues. Auch in Kreuzberg waren zunächst Flächensanierungen geplant: Stichwort Stadtautobahn und „störendes Gewerbe“.
In Kreuzberg gab es Widerstand gegen Abriss und Neubau, im Wedding nicht.
Ich selbst bin 1971 nach Kreuzberg gezogen. Rund um das Kottbusser Tor konzentrierten sich die ganzen Stadtteilgruppen. Außerdem wurden in Kreuzberg auch die Stadtteilinitiativen aus den anderen Bezirken koordiniert. Aus dem Wedding war da kaum einer dabei. Auch die fachliche Kritik der Stadtplaner und Städtebauer war zunächst sehr schwach.
In Kreuzberg wurde die Kahlschlagsanierung gestoppt. Welche Rolle spielte der Widerstand bei der Durchsetzung einer behutsamen Stadterneuerung?
Eine sehr große. Wir haben den nötigen politischen Druck gemacht, um auch Alternativen durchzurechnen. Damals gab es auch die ersten Gutachten, die für den Erhalt der historischen Bausubstanz plädierten.
Mit der Entscheidung für eine Internationale Bauausstellung in Kreuzberg hat die behutsame Stadterneuerung mit ihrem großen Fürsprecher Hardt-Waltherr Hämer gewonnen.
Der 1950 in Duisburg geborene Stadtplaner ist Geschäftsführer von S.T.E.R.N., Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung.
Am 11. Januar 1963 gab der Senat unter Willy Brandt bekannt, dass die Flächensanierung in Westberlin im Wedding beginnt. Anfang der Siebziger kommt es vor allem in Kreuzberg zu Protesten und Hausbesetzungen. Mit dem Beschluss für eine IBA 1979 beginnt in Kreuzberg die behutsame Stadterneuerung.
Auf der anderen Seite gab es aber auch immer wieder Vermutungen, dass man uns in Kreuzberg die Spielwiese gab, um im Wedding die Kahlschlagsanierung zu Ende zu bringen.
S.T.E.R.N. hat als Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung ein Quartiersmanagement in der Ackerstraße im südlichen Wedding, aber auch in Moabit, einem Altbauquartier. Wo ist der Unterschied?
Im Gegensatz zu den Neubauvierteln ist die Bevölkerung im Altbau noch etwas gemischter. Sonst aber gibt es keine großen Unterschiede. Beim Quartiersmanagement geht es nicht um städtebauliche, sondern um soziale Themen und um Bildungsthemen.
In der Printausgabe der taz.berlin am Freitag finden Sie zusätzlich ein Porträt eines Betroffenen und einen Text über jene Architekturrebellen, die 1968 die brutalen städtebaulichen Projekte der Moderne kritisierten.
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