Kahlschlag bei großem Zeitungsverlag: "Totengräber der Pressevielfalt"
Knapp 200 Journalisten demonstrierten vor der Zentrale der Südwestdeutschen Medienholding gegen den Rausschmiss der Redaktion von "Sonntag Aktuell".
Das Plakat ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Totengräber der Pressevielfalt - Schaub und Rebmann" war da zu lesen, und es traf den Ton bei der Protestkundgebung vor dem Pressehaus in Stuttgart-Möhringen. Knapp 200 JournalistInnen demonstrierten vor dem Hauptquartier der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) gegen den von der SWMH-Spitze verfügten Rausschmiss der Redaktion von Sonntag Aktuell.
Die Gebrüder Schaub aus Ludwigshafen und Richard Rebmann sind die Strippenzieher bei der SWMH. Dort erscheint Sonntag Aktuell als siebte Ausgabe, die den Abonnenten von Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und diversen Partnerverlagen kostenlos in Haus flattert. Das Blatt soll ab 2010 von anderen gemacht werden, 17 RedakteurInnen wurde gekündigt. Die Befürchtung ist groß, dass aus der bislang engagierten Regionalzeitung für den Sonntag ein beliebiges und vor allem billiges Anzeigenblatt werden soll.
Viele sehen im Vorgehen gegen Sonntag Aktuell den Beginn des großen Aufräumens bei der SWMH, die sich in den letzten Jahren, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, zum zweitgrößten deutschen Zeitungshaus nach Springer gemausert hat - rechnet man die Boulevardblätter heraus, ist die SWMH sogar die Nummer eins. Seit 2008 gehört ihr mit der Süddeutschen Zeitung auch der wichtigste überregionale Titel in Deutschland. Und weitere Zukäufe sind offenbar geplant: Derzeit testen die Schaubs die Geduld des Kartellamts, indem sie über ihre Zwischenholding Medien Union Ludwigshafen (Rheinpfalz) nach dem Mannheimer Morgen greifen.
Von einer "Riesensauerei" sprachen Gewerkschaftsvertreter auf der Kundgebung. "Das ist hier erst der Anfang", war der einhellige Tenor bei den Kundgebungsteilnehmern - darunter auch Ressortleiter und Vertreter von benachbarten Blättern wie der zur SWMH gehörenden Südwest Presse (Ulm), der Eßlinger Zeitung (an der die SWMH ebenfalls beteiligt ist) und dem Reutlinger General-Anzeiger. Besonderen Applaus gab es für rund zwei Dutzend Stuttgarter-Nachrichten-Mitarbeiter, die sich zu demonstrieren trauten: Denn ihr Chefredakteur Christoph Grote wird offenbar der große "Erneuerer" bei Sonntag Aktuell - eine Arbeitsgruppe bereitet unter seiner Führung nach taz-Informationen den Relaunch vor.
"Das ist ein weiterer Schritt der SWMH, um auszuholzen", sagt Karl Geibel, DJV-Vorsitzender in Baden-Württemberg, denn die Holding drücken die Kreditverpflichtungen aus dem Süddeutsche-Deal. Dass dabei die rund 40 Partnerverlage, die Sonntag Aktuell als ihre siebte Ausgabe übernehmen, nicht gefragt wurden, wundert Geibel nicht: Die würden von der SWMH, "wie auch die Leser, für unmündig" gehalten. Geibel erwartet auch für die Zukunft nichts Gutes: "Warum brauchen wir zwei große getrennte Sportredaktionen" für Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten - diese Frage werde kommen: "Die WAZ lässt grüßen", meint Geibel mit Blick auf den Verlagsriesen in NRW. Da werden gerade rund 300 von 900 Redaktionsstellen abgebaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“