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Kafka, China und Japan

Was uns der Schriftsteller über den Erfolg der japanischen Automobilindustrie lehrt  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Die Geschichte von zwei unterschiedlichen Arbeitsmoralvorstellungen“, titelte zum Wochenende die „International Herald Tribune“ und stellte gleich darauf fest: „Experten behaupten, die Produktivität der USA schlägt Japan.“ Das war gedacht als Antwort auf die Anschuldigungen japanischer Politiker, denen zufolge die Amerikaner „nicht arbeiten wollen“ oder bei ihnen eine „fehlende Arbeitsethik“ zu beklagen sei.

Meistens berufen sich Politiker und Medien, wenn sie auf andere Völker schimpfen, auf ihre stets unwiderruflichen Statistiken. So besagt zum Beispiel eine Berechnung des Deutschen Wirtschaftsinstituts, daß die Japaner stolze 2.201 Stunden pro Jahr arbeiten, während US- Bürger nur 1.904 und die Westdeutschen gar nur 1.651 Jahresstunden schuften. Was also liegt näher, als die Amis der „Faulheit“ zu verdächtigen?

Umgekehrt zeigen jedoch die Angaben des US- Arbeitsministerium, daß der Beitrag jedes einzelnen Amerikaners zum Bruttosozialprodukt immer noch um 20 Prozent höher liegt als der jedes einzelnen Japaners. Daher fühlen sich die Experten der 'Tribune‘ zweifellos berechtigt, von der größeren Produktivität der US-Arbeiter zu sprechen.

Doch all diese Vergleiche erklären uns nicht, warum sich japanische Autos derzeit viel besser als die amerikanischen verkaufen.

Ich vermute, daß die Japaner gar nicht so fleißig sind. Ich kenne zuviele Cafés, Kneipen, Spiellokale und Restaurants mit zuvielen Kunden, die alle nicht arbeiten, wenn ich ihnen begegne. Tokio ist längst eine Konsumstadt. Ich denke also, es liegt an der Art, wie die Japaner arbeiten.

Deshalb würde ich den stöhnenden Autobauern im Westen empfehlen, Kafka zu lesen. Bei seinen Recherchen über den Bau der chinesischen Mauer in den Jahren 1918-1919, also just zu der Zeit, als Henry Ford in den USA seine ersten Fließbänder anlaufen läßt, entdeckt Kafka bereits jene Organisationsvorteile, mit denen Chinesen damals und die Japaner heute ihre Wunder vollbringen. Kafka schreibt über „das System des Teilbaus“ der chinesischen Mauer: „Es geschah so, daß Gruppen von etwa zwanzig Arbeitern gebildet wurden, welche eine Teilmauer von etwa fünfhundert Metern Länge aufzuführen hatten, eine Nachbargruppe baute ihnen dann eine Mauer von gleicher Länge entgegen.“

Was Kafka am Beispiel der chinesischen Mauer beschreibt, sind die heute weltweit gefeierten Methoden des japanischen „lean-management“, wo „Gruppen von etwa zwanzig Arbeitern“ in einem „System des Teilbaus“ von Automobilen Fahrzeugteile herstellen, die dann mit denen der „Nachbargruppe“ zusammengefügt werden. Das klingt einfach. Aber wer von uns im Westen hat nicht an die Unschlagbarkeit der Fließbänder geglaubt?

Unser Rechercheur spürt schon 1918 die Verirrung: „Nun würde man von vornherein glauben“, belächelt Kafka uns damals noch Unwissende, „es wäre in jedem Sinne vorteilhafter gewesen, zusammenhängend zu bauen.“ Daran verzweifeln wir im Westen noch heute, an unserer Illusion von Effizienz gleich Geradlinigkeit gleich etwas Zusammenhängendem. Doch welche Anforderungen waren eigentlich gestellt? „Sorgfältigster Bau“, antwortet unser Beobachter, „Benutzung der Bauweisheit aller bekannten Zeiten und Völker, dauerndes Gefühl der persönlichen Verantwortung der Bauenden waren unumgängliche Voraussetzung für die Arbeit.“

Am Fließband bleibt keine Zeit für die Benutzung der Bauweisheit anderer Völker und für das Gefühl der Verantwortung schon gar nicht. Weshalb General Motors und VW solche Schwierigkeiten haben, Toyota nachzuahmen. Es geht also nicht um Arbeitsmoral und Fleiß, sondern um Klugheit und Dummheit. Wehe denen, die nicht wie Kafkas chinesische Maurer „viel über den Bau nachgedacht hatten und nicht aufhörten, darüber nachzudenken“!

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