: Kämpfende Frauen
Anja Flach und Carla Solina bereisten Kurdistan und entdeckten den Hauptwiderspruch bei den PartisanInnen: die Geschlechterfrage
VON HELMUT HÖGE
Nachdem sich die Amerikaner und die türkischen Streitkräfte auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die kurdische PKK-Guerilla geeinigt haben, rückt der Nordirak wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Diese Region ist inzwischen fast ein autonomes Gebiet, das von mehreren kurdischen Befreiungsorganisationen beherrscht wird und bis in die Türkei, den Irak und nach Syrien hineinreicht. In den letzten zehn Jahren flog die türkische Luftwaffe immer wieder Angriffe über die irakische Grenze hinweg – auf Flüchtlingslager. Denn sie sind unter anderem auch Stützpunkte der PKK.
Was leistet die maoistische Guerilla der PKK in ihren Gebieten und Zellen, die sich bis nach West- und Nordeuropa hin erstrecken? Was für ein Leben führen die Kämpfer, Flüchtlinge, Fahnenflüchtige und Internationalisten dort? Das hat die Schweizerin Carla Solina ein Jahr lang erforscht. Ihr geht es bei ihren Gesprächen in den Partisanenbrigaden, mit geflüchteten Bäuerinnen, Kommandanten und mit dem damals noch nicht inhaftierten Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan vor allem um die Befreiung der Frau in der kurdischen Revolution. Und um nichts Geringeres geht es auch bei den dortigen Guerillakämpfen. Wobei immer weniger Frauen sich diesem Kampf entziehen und immer weniger Eltern ihre Töchter zurückhalten können.
Die Geschlechterfrage ist den kurdischen Partisanen fast schon zum Hauptwiderspruch geworden. Wie seinerzeit bei den jugoslawischen Partisanen ist die Berührung untereinander verboten, selbst Verheiratete leben nicht zusammen, dennoch wird ständig über Beziehungen, Liebe und kollektives Leben diskutiert. Und die feudal-patriachalischen Verhaltensweisen vor allem der Männer werden mit Kritik und Selbstkritik, Schulungen und Parteilehrgängen angegangen. In den Gesprächen mit der Autorin äußerte sich Abdullah Öcalan über fast nichts anderes.
Daneben wird gerne die freie, aber karge „Lebensart“ in den Bergen gegen das westeuropäischen Überfluss-„Konsumverhalten“ ausgespielt. Insgesamt ergibt sich beinahe eine ökologisch-feministische Zielsetzung. Damit dürfte die PKK als Guerilla allein in der Welt dastehen. Ansonsten ist sie in Theorie und Praxis jedoch weiterhin maoistisch ausgerichtet: Ihre halb kolonialistische und spätfeudale Basis armer Bauern legt das ja nahe.
Bemerkenswert ist, dass Carla Solina auch einige kurdische Frauen bei der Guerilla getroffen hat, die in Deutschland aufwuchsen – und lange Zeit nicht einmal wussten, dass sie Kurden waren. Die Anti-PKK-Propaganda der deutschen Regierung trieb sie schließlich bis in die kurdischen Berge, wo sie nun eher mit ihrer Verwöhntheit und ihrem „Individualismus“ hadern.
Gleichzeitig tut jedoch auch die türkische Regierung das ihrige, um immer wieder aufs Neue wahre Massen zur Flucht in die Berge zu zwingen: durch Vernichtung von tausenden von Orten, Sperrgebietsverordnungen, Ausgangssperren, Razzien, so genannte Dorfschützer, V-Leute etc.
In den Flüchtlingslagern und -dörfern wurden „Stadtteilkomitees“ gegründet, in denen vor allem Frauen zu Wort kommen. Überhaupt kommt der kurdische Mann nicht gut weg in Carla Solinas Partisanenreport. Die weiblichen Kriegsforscher scheinen zudem ihrem Gegenstand besser als die männlichen Kollegen gewachsen zu sein. Letztere begnügen sich in der Mehrzahl mit platonischer Politikberatung, während Erstere immer mehr in empirischen Schwung kommen. In den kurdischen Bergen schreiben derzeit mehrere Frauen an Kriegsberichten – so auch Anja Flach. Ihr auf zweijährigen Tagebucheintragungen basierendes Buch erschien kürzlich. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalens hatte zuvor bereits Teile daraus beschlagnahmt und auf seiner Internetseite veröffentlicht, die Autorin außerdem durch ein Antiterrorkommando festnehmen lassen: Ihr wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (PKK) vorgeworfen.
Anja Flachs Buch beginnt sehr naiv, aber je weiter sie die deutsche autonomistische Szene und deren Jargon hinter sich lässt und des Kurdischen mächtig wird, während sie mit den Frauenkommandos von einem Berg zum anderen zieht, desto reifer und ergreifender wird ihre Prosa. Und desto hilfreicher ist anscheinend ihre Anwesenheit in der Guerilla, die laufend unter Beschuss der türkischen Luftwaffe und der Armee gerät, wobei viele Kämpferinnen verstümmelt werden oder den Tod finden – u. a. die deutsche Genossin Andrea Wolf und die Schweizerin Barbara Kistler. Es geht den Frauen in diesem verlustreichen Partisanenkampf um nichts Geringeres als den Aufbau der „weltweit ersten Frauenarmee“ und der „Partei Freier Frauen“.
Anja Flach: „Jiyaneke din – ein anderes Leben: Zwei Jahre bei der kurdischen Frauenarmee“, Mezopotamien Verlag, Köln 2003, 18 Euro Carla Solina: „Der Weg in die Berge. Eine Frau bei der kurdischen Befreiungsbewegung“. Edition Nautilus, Hamburg 2003, 7,50 Euro