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Archiv-Artikel

Kälber und Schlächter

Ministerpräsident Stoiber sorgt mit Ost-Schelte für einigen Aufruhr

BERLIN taz ■ Die Logik des politischen Skandals kennt kein Pardon. Ist ein Vorwurf erst in der Welt und der Angeklagte zu einer Entschuldigung nicht bereit, kommen stets neue Indizien ans Tageslicht. So ergeht es jetzt auch Edmund Stoiber. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Ossi-Schelte aus seinem Mund bekannt wird.

So auch ein Auftritt, den Stoiber am vorvergangenen Freitag im niederbayerischen Deggendorf absolvierte. In gewohnt erregtem Duktus berichtet Stoiber von seinen Auftritten in Jena und Eisenach. Die dortigen Zuhörer habe er gefragt: „Seid ihr euch bewusst: Ihr habt hier Plakate mit Lafontaine. Und der Mann, der im Grunde genommen gegen die Wiedervereinigung war, den feiert ihr jetzt als Helden? Ja, seid ihr denn verrückt geworden? Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“ Unklar blieb gestern allerdings noch, ob er die Sätze auch in den beiden thüringischen Städten wirklich ausgesprochen hat – und mit welchem Maß an Frustration die Zuhörer darauf reagierten. Klar ist jetzt aber: Stoiber gilt jetzt als der Mann, der die ostdeutschen Wähler als „Kälber“ bezeichnet hat.

Und weil dieser Mann sich nicht entschuldigt, wird der Skandal täglich größer. Die regierende SPD kann ihr Glück nicht fassen – und berief führende Ost-Sozialdemokraten gestern Abend zu einem Stoiber-Tribunal nach Potsdam ein. Das Urteil verkündete Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) schon im Vorfeld. Stoiber und sein baden-württembergischer CDU-Kollege Günther Oettinger, so Platzeck, verhielten sie „wie süddeutsche Separatisten“. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) schlug auf der Veranstaltung des SPD-Forums Ostdeutschland in die gleiche Kerbe. Die jüngsten Äußerungen bewirkten eine Spaltung Deutschlands und schadeten über Wahlkampfzeiten hinaus. Die Axt werde an die gesellschaftlichen Grundlagen Deutschlands gelegt.

Vor allem aber in der Union selbst herrscht nun offener Krieg, und auch dort sorgt die Affäre für ungeahnte Transparenz. Plötzlich wird bekannt, dass es schon vor Bekanntwerden der Ost-Zitate harsche Kritik an Stoibers mangelnder Loyalität gegenüber der gemeinsamen Kanzlerkandidatin Angela Merkel gab. Bei einem Treffen der Wahlkampf-Steuerungsgruppe ging der Niedersachse Christian Wulff den Bayern nach Medienberichten harsch an. Er erwarte, so Wulff, „dass die CSU der Kanzlerkandidatin dieselbe Loyalität entgegenbringt, wie sie Angela Merkel 2002 dir gegenüber gezeigt hat“. Stoiber war zu keinerlei Konzession bereit. „Ich lasse mich so nicht kritisieren“, zischte er zurück. Doch darüber kann Stoiber längst nicht mehr bestimmen. RALPH BOLLMANN