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Kabarettist über den Showdown am Montag"Deutsche überschätzen Ballack"

Der österreichische Kabarettist und Fußballexperte Alfred Dorfer beantwortet die drängendsten Fragen zum Showdown Österreich gegen Deutschland.

Das macht er doch ganz gut. Bild: Reuters

taz: Herr Dorfer, die EM läuft besser, als die Österreicher befürchtet haben. Wie kommts?

Das ist Dorfer

Alfred Dorfer, geboren am 11. Oktober 1961 in Wien, ist Österreichs führender (Post)Kabarettist. Lebt mit Frau und Sohn in Wien. Durchbruch in Deutschland mit dem erfolgreichen Kinofilm "Indien" (1995). Mit seinem aktuellen Stück "fremd" ist er im November wieder in Deutschland (München).

Fernsehen: Seit 2003 hat er eine Late-Night-Show namens "Dorfers Donnerstalk". Damit, schreibt das Wiener Magazin Falter, sei ihm "das Kunststück gelungen, im ÖVP-dominierten ORF eine kritische Satiresendung zu etablieren".

Fußballexperte, Anhänger von Austria Wien. Just auf dem Weg nach Rom. Flieht er? Nein: "Ich schaue mir im Land der Ausgeschiedenen in einer Trattoria an, wie Österreich sich bis ins Semifinale durchkämpft."

Problem TV-Fußball-Humor: Warum ist das satirisch-humoristische TV-Rahmenprogramm von ARD und ZDF bei dieser EM eigentlich so unterirdisch schlecht? Alfred Dorfer: "Da kann ich nur persönlich antworten; ich würde da nicht auftreten. Das Thema ist viel zu wichtig, um darüber Scherze zu machen."

Alfred Dorfer: Das liegt daran, dass die Erwartungen der Österreicher so weit unten waren. Jetzt wird es als positiv beurteilt, dass wir im dritten Spiel noch um den Viertelfinaleinzug spielen.

Warum so defensiv? Herrscht nicht Hysterie, dass heute die Deutschen geschlagen werden könnten?

Ich denke nicht, dass man wirklich ernsthaft daran glaubt, das man gegen Deutschland gewinnt. Das Beunruhigende für Deutschland ist, dass Deutschland offenbar nicht sicher ist, dass sie gewinnen.

Spielt Österreich für Sie modernen Fußball?

In Ansätzen handelt es sich schon um modernen Fußball. Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass die jungen Spieler ins Ausland gehen müssen, sonst passiert wieder nichts. In der österreichischen Bundesliga ist dass Tempo einfach zu niedrig.

Es hieß immer, die EM kommt für sie zu früh.

Das stimmt wohl auch, aber ich finde, dass Bundestrainer Josef Hickersberger unter vielen Schmähungen einen mutigen Schritt gemacht hat, in dem er ein wirklich junges Team formt mit Spielern wie Prödl, Harnik und Hoffer. Und dann setzt er auf Offensive, das hätte ich ihm nicht zugetraut.

Warum steht er immer so missmutig am Spielfeldrand?

Weil man laut Uefa-Regeln nicht mehr rauchen darf als Coach. Und er liebt Zigarillos.

Außenseiter schöpfen häufig aus dem "Wir gegen alle" die Kraft zum Siegen. Österreich scheint gern darin die Begründung fürs Scheitern zu suchen?

Die Beschwörung eines nationalen Schicksals und dass alle gegen einen seien, ist eine Schutzbehauptung, weil man sich dann nicht fragen muss, wie viel eigenes Unvermögen dabei ist. Deshalb fand ich den Stürmer Martin Harnik großartig, der sich wegen zweier vergebener Chancen gegen die Polen selbst des Unvermögens bezichtigte.

Kein wahrer Österreicher?

Er ist in Deutschland aufgewachsen. Er entschied sich für Österreich, weil er hier größere Chancen sah. Eine Entscheidung, die er vielleicht noch bereuen wird.

Er spricht auch hochdeutsch.

Er hat einen deutschen Dialekt.

Planungschef Ruttensteiner erfand auf dem Weg zur EM den "neuen österreichischen Weg". Was könnte das sein?

Die Erkenntnis, dass Spitzenfußball nicht nur mit Talent, sondern mit absoluter körperlicher Fitness zu tun hat und geschult werden muss in Fußball-Akademien, ist in Österreich relativ spät eingetroffen. Inzwischen sind unsere Spieler zwar nicht die Besten, aber wenigstens fit.

Prödl und Harnik sind globalisierte Fußballprofis, nüchtern, pragmatisch, willig, leistungsorientiert wie deutsche oder spanische auch?

Die Deutschen sind strebsamer, jedenfalls sagt man ihnen das nach. Die Harniks und Prödls unterscheidet von den Vorgängergenerationen, dass sie tatsächlich daran glauben, dass sie das Match gewinnen können.

Tatsächlich?

Ja, in dem Prödl ist das drin.

Ist Prödl Ihr Lieblingsspieler bei Österreich?

Seit dem Interview nach dem Kroatien-Spiel ist es Harnik. Das könnte eine echte Führungspersönlichkeit werden. Aber es stimmt: Prödl gefällt mir, und links der Korkmaz, der dynamisch und talentiert ist.

Und bei Deutschland?

Ich finde es interessant, wie man Ballack überschätzt, von dem die Deutschen tatsächlich denken, er könnte der absolute Star dieses Turniers werden. Eine Persönlichkeit ist für mich Schweinsteiger. Was der da macht, das hat was.

Herr Dorfer, was macht SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer besser als das Nationalteam?

Momentan gar nichts. Die Nationalmannschaft bleibt über den tiefgesteckten Erwartungen. Und Gusenbauer versucht, die tiefgesteckten Erwartungen zu unterbieten. Er wird wohl einen teilweisen Königsmord erleiden. Etwas, was noch nie einem österreichischen Kanzler passiert ist, nämlich, dass man ihm den Parteivorsitz wegnimmt.

Warum gelingt es Gusenbauer nicht, sich als intellektueller, moderner Sozialdemokrat zu positionieren, der Österreich in Europa aufwertet?

Das klappt nicht, weil innerhalb der Koalition der Eindruck entstand, das die ÖVP die Themenführerschaft hat, und der Gusenbauer sich mit dem Amt begnügt. Außenpolitisch ist es gut, innenpolitisch, also bei den großen Themen Gesundheitsreform, Pflegemodell, Migrationsfrage, Integrationsfrage, wurde gar nichts bewegt. Da gilt er als ständiger Umfaller.

Ist Hickersberger ein größerer Modernisierer als Gusenbauer?

Das hängt vom Spiel gegen Deutschland ab. Wenn da gewonnen wird, ist Hickersberger in Österreich so etwas wie es Rehhagel in Griechenland 2004 war.

Warum suchen Leute in einem Europa gleichberechtigter Bürger nationale Identität im Fußballteam?

Weil das mit den gleichberechtigten Europäern eine Lüge ist. Deshalb suchen die Leute einen Schrebergarten: Das ist meins, da kenn ich mich aus.

Sie haben gesagt: "Alle zwei Jahre beginnt Deutschland zu existieren." Es bleibe angesichts verlorener militärischer und ökonomischer Bedeutung nur der Fußball.

Dafür bekam ich viele böse E-Mails. Die Deutschen schrieben mir: Unsinn, wir bauen immer noch die besten Panzer.

Wir Deutsche sind aber doch sympathisch geworden im Sommer 2006 - oder nicht?

Sicher. In der Zeit - und die ist ja nicht als emotional bekannt - stand es gerade erst wieder: "Der Sommer, in dem wir andere wurden."

Ist das nun eine Lüge oder Verklärung?

Das ist ein Bürger-Motivationsseminar.

Damit ist die Rolle der Zeit treffend beschrieben. Wie war es wirklich?

Die deutsche Party war okay, die deutsche Mannschaft weit über den Erwartungen.

Ist Córdoba, das 3:2 gegen Deutschland bei der WM 1978, tatsächlich heute noch wichtig?

Ach, Córdoba ist auch nur eine Mediengeschichte. Das hat mit dem heutigen Fußball so wenig zu tun wie die Siege des Wunderteams in den frühen 1930ern.

Aber viele reden darüber, ob es ein "zweites Córdoba" gäbe.

Natürlich wird das aufgewärmt. Viele waren damals noch nicht auf der Welt und glauben, das 3:2 über Deutschland hätte eine Konsequenz gehabt für Österreich, etwa den Halbfinaleinzug.

Es hatte eine viel wichtigere Konsequenz: Deutschland schied auch aus.

Genau. Das sagt was über Österreich. Im Prinzip war die Großleistung eine Verhinderung von jemand anderem.

Warum diese Begeisterung, gegen Deutschland zu sein?

Ich halte das für wahnsinnigen Käse, dieses ständige Wiederholen der Gegensatz-Stereotype.

Das ist Fußballfolklore.

Niemand konnte nach der WM 2006 sagen: Gott sei Dank ist Deutschland nicht Weltmeister geworden. Und warum nicht? Weil sie schönen Fußball gespielt haben. Und darum geht es.

Joachim Löw war ja mal Trainer Ihres Lieblingsklubs Austria Wien - und gnadenlos erfolglos. Lag es an ihm?

Nein, das lag nicht an Löw, sondern an den Strukturen eines Traditionsklubs, dessen Tradition die intakte Intrige ist.

Wie wirkt Löw auf Sie?

Sehr brav, sehr sachlich. Niemand, der die falsche Ausrede sucht. Er hat was Bieder-Seriöses.

In Deutschland denkt man, dass er mit seiner Sonnenbrille im Ausland für eine Art Weltmann gehalten wird.

Wirklich? Einerseits der Bezug zur Scholle, andererseits gut angezogen: Wenn das das hippe Deutschland von heute ist, dann ist Jogi sicher der hippe Deutsche. Da gratulier ich auch dazu.

INTERVIEW: PETER UNFRIED

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