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Kabarettist Somuncu über Nationalismus im Fußball"Ich bin für gute Türken!"

Serdar Somuncu, deutschtürkischer Kabarettist, wird heute erst mal nicht für die Türkei sein. Warum er weder mit nationalistischen deutschen noch mit türkischen Fans etwas zu tun haben will.

Türkische Fans in Hamburg bei der Übertragung des Spiels Türkei gegen Tschechien: "Insbesondere die in Deutschland lebenden Türken benutzen den Fußball als Vehikel für einen stark konnotierten Nationalismus." Bild: dpa

taz: Herr Somuncu, nach dem Sieg gegen Tschechien sind die türkischen Fans in Deutschland durchgedreht - wie fanatisch gucken Sie EM-Spiele?

Bild: promo

SERDAR SOMUNCU, geboren am 3. Juni 1968 in Istanbul, ist deutscher Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler und Kabarettist türkischer Herkunft. Für seine international gefeierte szenische Lesung aus Hitlers "Mein Kampf" wurde Somuncu 2004 mit dem Prix Pantheon "Jurypreis Frühreif und Verdorben" ausgezeichnet.

Serdar Somuncu: Vor diesem Vorrundenspiel habe ich echt gedacht, ich wäre nicht fanatisch. Aber nach dem 2:2-Zwischenstand war ich doch sehr aufgeregt - entweder lag es an der Spannung des Spiels oder an meinem Rest-Türkensein.

Rest-Türkensein?

Aber ja! Grundsätzlich gucke ich Spiele nicht durch eine Nationalitätsbrille, das finde ich total schrecklich, ebenso wie dieses kollektive Fahnenhissen…

auf den Autos?

Ja, auf den Autos, auf den Straßen, überall. Ich frage mich immer, welchen Bezug die Leute dazu überhaupt haben und warum sie ihn gerade jetzt bei der Europameisterschaft entdecken. Deshalb schaue ich Spiele immer sehr neutral. Entweder mir gefällt eine Mannschaft oder eben nicht.

Und die Türkei hat Ihnen gefallen?

Dass die Türken so fair kämpften - als ginge es um den Beitritt zur EU -, das fand ich wirklich mal lobenswert in einer Zeit, in der Spitzensportler mehr Werbeclips drehen, als sie trainieren.

Fair? Der Einsatz war zum Teil schon härter…

…nein, das fand ich nicht hart, das war alles okay.

Heute Abend spielt dieses kämpferische Team im Viertelfinale gegen Kroatien. Sind Sie auch da erst mal neutral?

Da habe ich gemischte Gefühle. Als ehemalige Türkei-Heimatbesucher sind meine Familie und ich immer durch den Balkan gefahren, wo wir sehr viele unangenehme Erfahrungen gemacht haben, gerade in Kroatien, Serbien und den exjugoslawischen Ländern. Wir galten dort, in dieser sozialistischen Grauzone, als Teil und Sinnbild des Kapitalismus und haben dementsprechend für Verdruss gesorgt. Die Antipathien beruhten daher auf Gegenseitigkeit. Ein bisschen habe ich davon noch immer im Blut. Also: Ich bin natürlich nicht für die Kroaten!

Okay.

Aber ich weiß noch nicht, ob ich für die Türken bin, das hängt davon ab, wie sie spielen.

Im Ernst? Auch im Viertelfinale?

Man kann doch abschwören, wenn man merkt, dass die Mannschaft scheiße spielt. In diesem Fall werde ich nach der ersten Halbzeit klar gegen sie sein.

Tja, das könnte so manchem Fan der deutschen Mannschaft bekannt vorkommen - schauen Sie deren Spiele auch?

Klar, aber mehr noch als alle anderen Mannschaften dieser Welt hasse ich die deutsche Mannschaft.

Wieso lachen Sie, nicht so ernst gemeint?

Doch, für meinen Geschmack haben Fußball und Nationalismus gerade in Deutschland einen ganz schlimmen Unterton - dieser Pluralis Majestatis, in dem dann alle sprechen, "unsere Jungs" und "wir gewinnen", das hat etwas total Überhebliches. Ganz nebenbei schmeckt mir die Konnotation zu sehr nach deutschem Gespenst: "Wir hauen Polen oder wen auch immer weg." Deswegen bin ich gerade beim Fußball sehr antideutsch.

Sie trauen dem vermeintlichen Spaß-Event-Patriotismus nicht, der seit der WM 2006 in Deutschland gefeiert wird?

Ich weiß aus Erfahrung, dass es den in Deutschland ganz selten gibt. Die echten deutschen Patrioten kommen meistens nicht aus Deutschland, das sind Türken, Chinesen, Fremde eben, die hier leben. Die Deutschen vermischen diese Patriotismus-Debatte immer ganz bewusst mit Wiedergutmachungsthemen und der Rückkehr zu einer vermeintlichen Normalität.

Und?

Gerade diese Verbindung halte ich für sehr sehr verdächtig. Wenn man für Fußball ist, kann man für Fußball sein. Aber bei vielen meiner deutschen Freunde weckt das immer eine Nebendiskussion um deutsche Normalität. Fußball ist kein Anlass, um über solche Dinge zu sprechen, zumal die Fans, mit denen man zusammen für Deutschland ist, meistens sehr verdächtige Deutsche sind.

Was macht sie verdächtig?

Wenn ich in Stadien Transparente sehe, auf denen in altdeutscher Schrift "Sieg" steht, oder diesen unsäglichen Schlachtruf "Sieg" höre, bei dem man das "Heil" nur noch antizipieren muss, dann hat das für mich unzulässige Zweideutigkeiten. Ich persönlich würde mich von diesen Leuten lieber distanzieren, als sie zu ignorieren.

Sehen Sie ein ähnliches Problem bei der türkischen Mannschaft bzw. deren Fans? Man hat doch den Eindruck, dass das Turnier nationalistisch auch sehr aufgeladen ist - Sie hatten ja die EU bereits erwähnt?

Ja, eben war ich ironisch, nun im Ernst: Die Türken haben den gleichen Minderwertigkeitskomplex zu Größenwahn stilisiert wie die Deutschen. Insbesondere die in Deutschland lebenden Türken benutzen den Fußball als Vehikel für einen stark konnotierten Nationalismus. Da geht es um den EU-Beitritt und um die Frage der Anerkennung der Türkei in Europa und als Teil Europas.

Gefällt Ihnen nicht?

Das alles finde ich widerlich, es hat mit Fußball nichts zu tun. Mit solchen Leuten zu jubeln, fällt mir schwer. Deswegen reduziere ich meine Freude auf das Spiel und auf den Verlauf des Spiels. Den meisten in Deutschland lebenden Türken geht es nicht um sportlichen Ehrgeiz, sondern auch um eine Selbstbehauptung gegenüber einer übermächtigen EU. Aber all diese Nebenkriegsschauplätze haben mit Fußball nichts zu tun. Man sollte spielen, um zu gewinnen, nicht um andere zu besiegen.

Schätzungsweise wird man Sie dann nicht beim Public Viewing antreffen?

Oh nein, diesem Public-Viewing-Beschiss entziehe ich mich, ich gucke das zu Hause - das geht übrigens auch noch und man muss keine fremden Leute im Siegestaumel umarmen. Früher habe ich das oft im Stadion erlebt - bei Borussia Mönchengladbach, meiner Heimmannschaft -, heute halte ich das nicht mehr aus: Leute ohne Zähne umarmen, die nach Alkohol stinken, bloß weil ein Tor gefallen ist.

Werden die türkischen Fans denn etwas zu feiern haben?

Die Überheblichkeit des türkischen Teams nach dem letzten Spiel wird bestraft werden. Ähnliches ist ja den Deutschen widerfahren. Als das erste Spiel gewonnen war, waren sie fast schon Europameister und haben nur noch darum gestritten, gegen wen sie gewinnen werden. Das halte ich für sehr gefährlich. Ich glaube, gegen Kroatien werden die Türken vielleicht noch ein Elfmeterschießen schaffen, das sie mit ziemlicher Sicherheit verlieren werden.

Wie geht es genau aus?

Nach einem 0:0 verschießt die Türkei zwei Elfmeter - jetzt können Sie das Ergebnis selbst ausrechnen.

INTERVIEW: SUSANNE LANG

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