■ KURZMELDER: Mythos D
Vom Mythos Deutschland ging der 1976 in die Bundesrepublik gewechselte Autor Günter Kunert aus, als er in der Reihe »Nachdenken über Deutschland« am Sonntag in der Deutschen Staatsoper Berlin las. Deutsche Historie sei immer auch mit dem Mythos Deutschland verbunden gewesen, stellte Kunert fest. Sogar die ehemalige DDR, die ohne eigenen Mythos auszukommen versuchte, habe in ihrem Spätstadium versucht, auf deutsche Mythen — wie Luther, Bismarck, Friedrich — zurückzugreifen. Diese Utopie konnte nur durch Gewalt durchgesetzt werden. Der Sozialismus, so Kunert, »hat keine Chance zur Wiederkehr, das sei ohne Bedauern gesagt«. Noch lange Zeit werde eine Kluft zwischen West und Ost bleiben, die Kluft zwischen »Wissen und Erfahrung, Informiertheit und Erlitten-Haben«. Die DDR werde noch ein langes Nachleben führen, auch im Sinne eines Sozialismusmythos. Kunert war schon 1963 vom SED- Ideologen Hager scharf angegriffen, nihilistischer Denkweise, pessimistischer Lebensauffassung und sozialismusfeindlicher Literatur beschuldigt worden. 1976, nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, wurde auch Günter Kunert aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen.
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