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KUNST Das Drents Museum im niederländischen Assen widmet sich in diesem Sommer Nordkorea. Im Zentrum steht der Widerspruch zwischen Staatskunst und RealitätIm Paradies des Bösen

VON Tobias Müller

Pur und rein gleiten die frisch geernteten Salzkristalle durch die Hände der Arbeiterinnen. Versonnen lächelnd sehen sie einander während einer wohlverdienten Pause an. Leuchtend in Lila, Rot und Grün heben sich ihre Blusen ab von dem weißen Überfluss, der vor ihnen aufgehäuft liegt. Im Hintergrund ist eine Losung zu erkennen: „Egal wie mühsam der Pfad ist, wir gehen mit einem Lächeln voraus.“ Der Titel des Ölgemäldes von Kim Songnyong, 2002 in den gigantischen Mansudae-Kunststudios von Pyöngyang entstanden: „Freude“.

Wenn aus einem Ort, den viele gemeinhin als Hort des Bösen wahrnehmen, eine derartige Euphorie dargestellt wird, ist das Label schnell gefunden: Propagandakunst. Das Drents Museum im niederländischen Assen, wo solcherlei Gemälde derzeit die weißen Wände schmücken, wählt zurückhaltendere Worte: „Die Ausstellung zeigt, wie das Regime sozialistisch-realistische Kunst einsetzt um ein utopisches Nordkorea zu kreieren und in Stand zu halten.“ Auch hier liegt der Name auf der Hand: „Die Utopie des Kim.“

Emsige Arbeiter, entschlossene Soldaten, strahlende Kinder: Dies sind einige der Motive der zwischen 1960 und 2010 angefertigten Malereien, allesamt entstanden in staatlichen Kunsteinrichtungen. Angeordnet sind sie in Themenfeldern wie „Helden der Arbeit“, Früchte des Landes“, oder „Der große Führer“. Wer sozialistischen Realismus mag, bekommt durchaus Leckerbissen aufgetischt. Dem Drents Museum passen sie hervorragend ins Konzept: Neben Archäologie ist Realismus einer seiner Schwerpunkte. Kims Utopie schließt sich somit an den viel besprochenen „Sowjetmythos“ von 2013 an. Eine Referenz, die sich schon in der Ähnlichkeit der offiziellen Plakate spiegelt. Inhaltlich wird mit großer Kelle angerührt – insbesondere bei den expliziter politischen Rubriken „Koreakrieg und amerikanische Barbarei“ oder „Koloniale Unterdrückung und anti-japanischer Widerstand“.

Sehr schöne Kunstform

Der Kunstsammler und ehemalige Briefmarkenhändler Ronald de Groen, aus dessen Privatkollektion die Exponate in Assen stammen, sieht im traditionellen Malstil „im Prinzip eine sehr schöne Kunstform“. Er beauftragte einen befreundeten Kollegen, der ab den 1990er Jahren beruflich in Nordkorea verkehrte, für ihn Bilder zu erstehen. Nordkorea war inzwischen das einzige Land, wo dieses Genre noch gepflegt wurde. „In Nordkorea macht man keine moderne Malerei. Kim Il Sung sagte einmal, wenn man nicht erkennen kann, was es darstellen soll, ist es keine Kunst.“

„Realismus bedeutet nicht, Spiegelbild der Realität zu sein“, Künstlerin Wielinga

Wer die Werke aus De Groens Sammlung betrachtet, steht unweigerlich vor der Frage, welchen Blick man selbst auf Nordkorea hat: Besucherin Kirsten Mastenbroek, eigentlich der Architektur des Museums wegen aus Rotterdam gekommen, hält die erwähnte Szene der Salzernte mit ihrer Kamera fest. „Unglaublich faszinierend” findet sie das Konzept, der Gemäldeausstellung eine Sammlung teils verdeckt aufgenommener Fotografien aus dem Alltag des Landes entgegenzustellen. „Die Fotos haben auch wieder einen gefärbten Blick, den des Fotografen. Es bleibt also immer ein doppelter Boden.“Die überzeichnete Märchenstunde des Chuch’e- Sozialismus fordert einen gedanklichen Tribut, der von der Reflexion eigener, als westlich angenommener Perspektiven bis hin zu der Erkenntnis reicht, dass es „bei uns“ auch politische Propaganda gibt. Die Frage, ob dies das Regime in Pyöngyang akzeptabler macht, verschwindet allerdings dahinter gelegentlich. In diesem Kontext wird dem einen oder anderen Besucher wohl auch die Frage kommen, mit welch politischen Vorstellungen sich Teile der europäischen Linken einst solidarisch mit dem Regime in Nordkorea erklärten.

Solch Reflexionen anzuregen, ist dem Drents Museum eindeutig zu Gute zu halten. Der Kritik, Propagandakunst ein Forum zu bieten, hätte man mit einigen pro-forma-Veranstaltungen begegnen können. In Assen jedoch gibt es Filmvorstellungen, zwei Mal wöchentlich gratis historische Vorträge zu Nordkorea und im Museums- Shop eine ganze Reihe kritischer Bücher. Vor allem aber hat man für die Zeit der Ausstellung ein ständiges Pendant eingerichtet: „North Korean Perspectives” heißt eine Sammlung von Werken verschiedener Künstler und Fotografen, die sich der nordkoreanischen Realität aus gänzlich anderen Winkeln nähern.

Zusammengestellt hat sie der niederländische Kurator Marc Prüst. Dort vertreten ist etwa Tomas van Houtryve, bekannt für sein Buch „Behind the Curtains of 21st Century Communism“. In Nordkorea gab er sich als belgischer Geschäftsmann auf der Suche nach Investierungsoptionen aus. Seine Fotos zeigen schlechte und unasphaltierte Wege, alte Menschen, die Karren hinter sich herziehen und graue Wohnblocks. Man sieht die Instagram-Reihe „#Nkorea“ des AP-Fotografen David Guttenfelder, ebenso wie die Aufnahmen des Japaners Ari Hatsuzawa. Während seines Aufenthalts freundete er sich mit den offiziellen Begleitern an, die jedem Nordkorea-Besucher obligatorisch zur Seite gestellt werden. Statt Mangel und Verfall lichtete er Freibadbesucher, Friseurkundinnen oder Teilnehmer eines Laufwettbewerbs ab, Ausschnitte des nordkoreanischen Alltags eben.

Eindringlich sind die Arbeiten der Niederländerin Alice Wielinga. Während einer zweiwöchigen Nordkoreareise dokumentierte sie Propagandakunst im Öffentlichen Raum und aus Büchern. Zudem hielt sie vom Fenster des Kleinbusses, in dem ihre staatlichen Begleiter sie herumkutschierten, Straßenszenen fotografisch fest. Aus diesen Elementen setzt sie ihre Kunstwerke zusammen. „Ich sammle Puzzlestückchen” erklärt Wielinga bei einem Besuch ihres Ateliers in Amsterdam. Das Bild „Epic of the Soldier” etwa besteht aus einer Bergregion mit Schneeverwehungen und einer heroischen Armeeeinheit samt Fahne. Sie montierte einen Soldaten mit Ochsenkarren und drei Passanten in Regenkleidung zusammen.

„Ist das, was ich sehe, Propa­gan­da oder Realität?” Diese Frage, so Alice Wlelinga, habe sie sich in Nordkorea öfters gestellt. In ihren Werken hebt sie die Trenn­linie schließlich auf, lässt „blühende und verlassene Landschaften” ineinanderfließen. „Wenn etwas ‚Realismus‘ genannt wird, bedeutet dies nicht, dass es ein Spiegelbild der Realität ist. Es ist eine Utopie, die sie gerne erreichen wollen.“

Die Gefahr der Relativierung des Regimes sieht Alice Wielinga durch die künstlerische Auseinandersetzung nicht. „Man darf nicht so tun, als passierten dort keine schlimmen Dinge. Trotzdem ist es gut verschiedene Perspektiven zu zeigen und differenziert auf Nordkorea zu schauen.“ Ein weiteres Beispiel dafür sind ihre Reisefotografien: „Das Klima ist sehr hart, das Land besteht zu 80 Prozent aus Bergen, und Frühling wird es erst im Mai. Wegen der enormen Energieknappheit verbrennt man so viel Holz, dass Entwaldung ein echtes Problem ist, daher auch die vielen kahlen Landschaften.“

Kunstsammler De Groen trifft derweil eine andere Verortung seiner Schätze in Relation zum nordkoreanischen Alltag: sie stellten eine unerreichte „absolute Utopie“ dar. In Wirklichkeit hält man der Bevölkerung ein Idealbild vor Augen, auf dass alle hinzuarbeiten hätten: „Und wenn es am Ende nicht gelingt, ist es die Schuld der Amerikaner.“

Bis 30. August: www.drentsmuseum.nl/

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