piwik no script img

KUNST AM SCHULZENTRUM

Koenig ist ein Künstler, dessen Werke die Öffentlichkeit nicht scheuen. In Berlin scheuen sie gleich zweimal nicht: einmal als Autobahnkunst, wenn man denn die Transitstrecken zu Berlin rechnen darf, denn Die Zwei XXV stehen kurz hinterm Grenzübergang Richtung Hamburg; und zum anderen als Sakralkunst an der Kirche Maria Regina Martyrum in Charlottenburg. Werke aus gänzlich verschiedenen Schaffensperioden, doch zugleich exemplarisch für Koenigs Wirken.

Über dem Eingang der Charlottenburger Kirche hängt das Apokalyptische Weib. Ein stilisiert archaisch wirkender Körper, der sich die Abstraktion aber doch nicht traut. Goldfarben angemalt, eignet sich das Weib hervorragend, das Schlupfloch zum Inneren des gliederungslosen Sakralbaus zu markieren. In der Kirche noch mehr Koenig, eine Pieta, Bronze, auch 1962 geschaffen, ähnlicher Stil. Der unbefangene Besucher denkt sich nichts bei der Kunst. Zu Hause, beim Schein der im Gotteshaus erworbenen Opferkerze und einem Glas Rotwein, die Reflektion: ohne Ergebnis. Da rüttelt nichts an mir, da kommen keine Assoziationen auf. Einzig meiner Mutter Kerzenständer aus den Sixties gemahnen mich. Man erinnere sich: Kerzenständer aus kleinen Kugeln, durch schmale Stege miteinander verbunden, schlanke Beinchen. Oben in den Kugeln ist eine Vertiefung eingelassen, etwas Wachs reingeträufelt, schon steht die Kerze. Für mich besitzen so ziemlich alle Bildwerke Koenigs die Aussagekraft von Kandelabern.

Die Zwei stellen eine andere Schaffensperiode Koenigs vor, vielleicht beeindrucken sie den öffentlichen Raum mehr. Die Zwei bedeutet immer die Grundform Kugel auf Quader, die schon aus der Klassik bekannt ist. Mit zwei Röhren womöglich angereichert, die auf der Kugel balancieren; wenn's hochkommt, balancieren die Röhren wiederum etwas. Das steht nun auf der Autobahn und symbolisiert etwas: Die Zwei XXV. Die „25“ läßt ahnen, daß es noch mehr davon gibt: an der neuen Pinakothek in München, am Pogenhausener Krankenhaus, an der Deutschen Botschaft in Madrid, an der KZ -Gedenkstätte Dachau, am Gymnasium, an der Landesbank, am Schulzentrum Wuppertal. Dutzende Male werden Die Zwei variiert und: sagen nichts.

Im Katalog zur Berliner Koenig-Ausstellung äußert sich ein kunstverständiger Koenig-Verehrer unter dem Titel „Zur Sprache der Skulpturen von Fritz Koenig“. Seine Gedanken sind bestechend. Schon Goethe hatte im Garten eine Quader mit einer Kugel drauf stehen. Michelangelo hat mal sowas gemacht. Im übrigen, so der Autor, habe der Ururgroßvater vom Künstler die Schnelldruckpresse erfunden, und kunsthistorisch gesehen, habe die Glücksgöttin auch immer auf einer Kugel gestanden, wenn sie dargestellt wurde. Soviel zur Deutung der „Zwei„-Skulpturen, wie sie an der Autobahn stehen.

Im Verlaufe des Aufsatzes wendet Koenigs Verehrer sich dann den Epitaphen des Künstlers zu, bei denen die Kugeln, Kuben und Röhren zusammengepurzelt auf einem Haufen liegen, und der Schreiber stellt fest, daß das labile Gleichgewicht der „Zwei“ nun nicht mehr bestehe. Ein nachvollziehbarer Gedanke, der aber nur erklärt, warum die Massenware Epitaph sich von der Massenware Die Zwei unterscheidet. Das ist dann Fritz Koenigs Formensprache. Wenn also die Form keine Assoziationen hervorruft, dann kann vielleicht die Vorstellungswelt des Künstlers zum Verständnis des Kirchgängers, des Autofahrers, des Schulzentrumbesuchers beitragen. Ja, „Die Zwei„-Bildnisse bestehen immer aus zwei Teilen. Was sagt uns das: Stimmt, Berlin besteht aus zwei Teilen, wie die Autobahn zwei Spuren hat. Auf dem Gymnasium gibt es die Ober- und Unterstufe. Im Krankenhaus die Kassen- und Privatpatienten und Pinakotheken in München gibt es auch zwei.

Fransz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen