KREUZBERG: Mal ganz in Ruhe drüber reden
Auf der Admiralbrücke versuchen Mediatorinnen, zwischen feierwütigen Besuchern und genervten Anwohnern zu vermitteln.
Überm Landwehrkanal riecht es nach Gras. Kreuzberg, Freitagabend: Rund 50 junge Menschen haben es sich auf der Admiralbrücke gemütlich gemacht. Einer klimpert auf der Gitarre, das Ploppen von Bierflaschen begleitet ihn. Mittendrin stehen Doris Wietfeldt und Sosan Azad an einem Klapptisch. Auch sie wollen sich mit Leuten unterhalten, aber ihr Anliegen ist ein anderes: "Streit schlichten", steht auf Aufstellern neben ihrem Tischchen.
Dabei beginnt der Streit gerade erst: "Haut ab! Für euren Schwachsinn wird viel zu viel Geld rausgeschleudert. Sollen doch lieber die Bullen kommen und hier alles räumen!" Blanke Wut liegt in der Stimme des Mannes. Er schwankt, man hat Mühe, manche Worte zu verstehen. Sosan Azad steht ein wenig geduckt vor ihm und erträgt das Gezeter geduldig. "Es wird nicht leicht sein, die Besucher dazu zu bringen, sich am Mediationsprozess zu beteiligen", sagt sie. Azad ist Pädagogin, sie steht hier, weil sie den Anwohnern helfen soll, ihre Probleme mit den lärmenden Brückenbesuchern zu lösen. Der Bezirk hat Wietfeldt und sie engagiert, vom Senat kommt das Geld: 18.000 Euro ist der Politik die Mediation wert.
Dass ein solches Schlichtungsverfahren einmal auf der Admiralbrücke notwendig würde, hätte vor ein paar Jahren wohl niemand erwartet. Die Brücke, die östlich des Urbanhafens über den Landwehrkanal führt, liegt mitten in Kreuzberg und war doch lange ein beschaulicher Ort. Bis immer mehr Menschen entdeckten, wie nett man hier auf den kleinen Betonpollern in der Mitte oder auf dem Geländer sitzen kann. Oder direkt auf der Straße. Ein öffentlicher Ort mitten in der Stadt, wo man einen weitläufigen Blick auf den Sonnenuntergang hat. Jetzt ist die Metropole mit Wucht in die Idylle zwischen sanierten Altbauten und Grünanlagen zurückgekehrt: als monatelange, internationale Open-Air-Party eines jungen Publikums.
Auch Touristen kommen mittlerweile in Scharen: "Viele Onlinereiseführer haben die Admiralbrücke als Geheimtipp aufgenommen", weiß der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Peter Beckers (SPD). Aber als "Geheimtipp" kann man die Brücke eigentlich kaum noch bezeichnen. Artistengruppen und kleine Bands treten auf, weit mehr als 300 Besucher tummeln sich nachts auf der Brücke, auch an Wochentagen. Die Anwohner sind genervt, sie beschweren sich vehement über die Lärmbelästigung und den Müll auf der Brücke. "Viele von uns müssen früh aufstehen, um zu arbeiten, oder haben Kinder. Wenn wir dann nachts um drei um Ruhe bitten und auch noch als Spießer beschimpft werden, geht das an die Grenzen unserer Toleranz", schimpft Monik Saran, die in der Nachbarschaft wohnt. Die Forderungen, die Anwohner an das Ordnungsamt, den Bezirk und die Polizei richteten - ein Alkoholverbot ab 22 Uhr und bauliche Veränderungen, um mehr Autoverkehr auf die Brücke zu holen - wurden diskutiert und wieder fallen gelassen.
Jetzt sind also die Mediatorinnen dran: Azad und Wietfeldt sollen dafür sorgen, dass Anwohner mit Besuchern ins Gespräch kommen und Kompromisse finden, mit denen beide Seiten leben können. Möglich ist da vieles: An runde Tische mit allen Beteiligten ist gedacht. Gespräche führen die Mediatorinnen bereits mit dem Bezirk, mit Anwohnern, Gastronomen, dem Ordnungsamt und der Polizei. Sie alle sollen gemeinsam einen möglichst verbindlichen "Brückenkodex" erarbeiten - Inhalt und Form sind bis jetzt noch völlig offen. Eine Arbeitsgruppe trifft sich regelmäßig. Allerdings fehlt mit den Besuchern ausgerechnet eine zentrale Interessengruppe in der Runde.
"Indem wir die Leute auf der Brücke gezielt ansprechen, haben wir eine Chance, auch die Stammbesucher zu erreichen", ist sich Sosan Azad sicher. Die Mediatorinnen bleiben stets in der Nähe ihres Infotisches. Wer sich mit fragendem Gesichtsausdruck nähert, wird von Doris Wietfeldt mit einem Lächeln angesprochen. Manche schreiben sich dann ihre Mailadresse auf. Auch Sebastian: "Ich finde die Idee super. Aber ich bin mir nicht sicher, ob besonders viel dabei herumkommt. Die Leute auf der Brücke haben ja kein Interesse daran, dass sich etwas ändert", gibt der 25-jährige Student zu bedenken. Den Prozess weiterverfolgen will er trotzdem.
Etwas abseits des Tisches sitzen Naomi und Malene an eine Laterne gelehnt. Beide sind 16 Jahre alt, beide kommen aus Berlin, beide sind regelmäßig auf der Admiralbrücke. Von den Mediatorinnen haben sie noch keine Notiz genommen. "Ich war zu faul, mir das Plakat mal durchzulesen", gibt Naomi zu. Egal ist ihr die Brücke aber keineswegs: "Die wollen uns doch nur vertreiben! Überall werden Jugendclubs geschlossen und Leute von der Straße vertrieben. Aber wo sollen wir denn hin?", regt sie sich auf. "Wir sind hier in Kreuzberg, da trifft man sich halt auf der Straße", sagt Malene. Es klingt, als sei dem nichts hinzuzufügen.
Die Mediatorinnen sind nicht gekommen, um die Besucher zu überzeugen. "Wir wollen Verantwortung abgeben und Strukturen schaffen, damit sich die Parteien selbst verständigen können", betont Azad immer wieder. Entsprechend geht sie mit den Leuten um: Sie redet auf niemanden ein, sondern hört erst einmal zu. Wenn sie spricht, dann leise und bedacht, zurückhaltend. Die Initiative müssen andere ergreifen.
Enttäuscht von den Anwohnern ist Norbert Rheinlaender: "Von denen kommt nicht viel. Die rufen nach einer starken Hand, die ihre Probleme löst." Rheinlaender selbst wohnt seit über 20 Jahren in der Admiralstraße und hat schon Vorschläge gemacht, wie sich das Brückenproblem entschärfen ließe. "Auf meinen Rat, die Probleme einzeln anzugehen, hat leider niemand reagiert", bedauert er. "Aber die Mediation wird auch nichts anders machen." Vor einem Jahr hat er Flugblätter auf einer Sitzung der Anwohnerinitiative "Admiralkiez" verteilt. Auf denen schlug er vor, die nahe gelegenen Restaurants, Cafés und Kneipen an der Anschaffung von Containern und Chemietoiletten zu beteiligen. Damit ließe sich das Müllproblem angehen. Außerdem empfahl er regelmäßige Kontrollgänge des Ordnungsamts ab 22 Uhr. "Die Nachbarn haben diese Vorschläge kaum zur Kenntnis genommen und sich an Bezirk und Ordnungsamt gewandt", sagt Rheinlaender. Immerhin ist aus den daraus folgenden Gesprächen die Idee mit der Mediation entstanden.
Deren erste Aktion wird ein Ideenwettbewerb sein. Er wurde von der bestehenden Arbeitsgruppe vorbereitet und soll Ende nächster Woche beginnen. "Tragfähigkeit", "Realisierbarkeit" und "Nachhaltigkeit" sind die Kriterien, die die Ideen erfüllen sollen. Eine Jury, in der alle Interessengruppen vertreten sind, wird entscheiden, welche gewinnen. Einsendeschluss ist Ende August, mit einer Umsetzung ist also frühestens nächsten Sommer zu rechnen. Und auch in der Jury fehlt noch eine entscheidende Gruppe: die Brückenbesucher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag