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KORRESPONDENZENSchafsköpfe gegen Wolf

■ Ein Brief anläßlich der Verleihung des Büchner-Preises an Wolf Biermann

Lieber Willi, ich habe Deinen lustigen „Kulturbrief“ an Franz ins nördliche Kanada in der taz vom 19.10.91 gelesen. Deine Erinnerungen an die siebziger Jahre mit den doofen linksradikalen Studienräten und den langhaarigen Religionslehrern haben mich sehr gerührt. Genauso war es.

Als kleine Ergänzung will ich Dir heute vom vergangenen Samstag, einem verregneten und kalten Oktobernachmittag 1991 in Darmstadt in Darmstadt berichten, wo neben dem Georg-Büchner-Preis auch der Friedrich-Gundolf-, der Johann- Heinrich-Merck- und der Sigmund- Freud-Preis verliehen wurden. Das ist einmal im Jahr sozusagen ein großer Aufwasch mit neun Reden und vier Preisträgern in zweieinhalb Stunden. Wie auch immer, die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung ist eine Institution im literarischen Leben der Bundesrepublik.

Vor dem Eingang des Staatstheaters verteilte eine Handvoll durchaus friedlicher Menschen Flugblätter: „60.000 DM im Namen Georg Büchners für den Kriegshetzer Biermann?“ Auf einem Sandwich gegen den „wendigen Kriegsfreund aus Hamburg“, das eine Frau trug, war mit dickem Filzstift geschrieben: „Krieg den irakischen Palästen, Friede den jüdischen Hütten — Herr Biermann, es treffen ,gute‘ Bomben die irakischen und kurdischen Hütten!“ In dem Flugblatt wird selbst Burdas Millionärspostille 'Forbes‘ als Kronzeuge für die „Fehlentscheidung“ der Darmstädter Jury zitiert, den „lautstarken Schlachtenbummler des Golfkrieges“ zum Träger des angesehensten deutschen Literaturpreises zu machen. Biermann sei mit seiner „Israelposition“ zum „Lobsänger des Krieges“ und damit „hoffähig“ geworden, „meilenweit entfernt von den Idealen Büchners“. Auf einem weiteren Transparent heißt es: „Büchnerpreis trotz Biermanns Schande, Dichterschändung hallt's im Lande.“

Diese Demonstration spätgeborener Flachgeister, tief im Herzen dumpfdeutsch, im Kopf die Leere eines ausgeräumten Koordinationsbüros der Friedensbewegung und mit dem intellektuellen Horizont einer mehrmals recycelten „Kein-Blut- für-Öl!“-Broschüre, repräsentierte tatsächlich die Verlängerung der siebziger Jahre in die unendliche Weite zeitloser Dummheit.

Lieber Willi, ich muß es Dir gestehen, die Laudatio des „Quasselkopfes“ Reich-Ranicki sprach mir, erst recht in diesem Augenblick, aus der Seele. Dabei störte mich weder sein Habitus, das rollende R noch Eitelkeit und Selbstinszenierung oder seine Rolle als durch die Lande rasender „Literaturpapst“: Er sagte, was zu sagen war an diesem Tag. Daß er es klug, witzig und unterhaltsam sagte, spricht für, nicht gegen ihn. Vielleicht ohne es zu beabsichtigen, lieferte er auch Anhaltspunkte für die Antwort auf die Frage, warum Wolf Biermann in der deutschen „Linken“ so geliebt und so gehaßt wird wie sonst nur Dany Cohn-Bendit. „Eintracht stiften ist seine Sache nicht“, rief Reich-Ranicki in das Auditorium, selbst Objekt jener ausgeprägten deutschen Haßliebe, die haßt, was sie liebt, und im Grunde liebt, was sie doch so sehr haßt. „Schön kann man seine Stimme nicht nennen“, sagt der Laudator, „und heute wie gestern gab es bedeutendere Lyriker, bessere Sänger und virtuosere Gitarristen als ihn. Aber er hat eine seltene Gabe in deutschen Gefilden: Humor, Witz, Selbstironie. Er ist ein fröhlicher Volksredner, ein Liedermacher, ja, ein Clown, ein Schalk, ein Artist unter den Literaten und ein Dichter unter ihnen. Ein Poet, der jeden Rahmen (auch den der feuilletonisten Spartenaufteilung) sprengt, und einer, der den Widerstand gegen staatlichen Terror — elf Jahre Publikations- und Auftrittsverbot in der DDR — symbolisiert: Einen solchen Dichter kannte man bisher in Deutschland nicht.“

Zur Genese dieses „Biermann- Mythos“, daran erinnerte Reich-Ranicki, gehöre auch die Fähigkeit zur Selbstkritik. „Andere verspottend hat er sich selbst verspottet. Keiner ist mit Wolf Biermann härter ins Gericht gegangen als Wolf Biermann.“ Auch wenn er „Törichtes in Vers und Prosa gekleidet, die Dummheiten seiner Zeit“ geäußert habe, so gelte doch Biermanns eigenes Wort: „Ich habe mich geirrt, wie ander auch. Ich habe mich korrigiert, wie andere nicht.“

Und das, lieber Willi, nicht im Herbst 1989, als ideologische Reue- wie Trotzbekenntnisse im Dutzend billiger waren, sondern zu einer Zeit, da Dirk Schneider gerade seine Spitzeltätigkeit für die Stasi aufnahm, linke Gewerkschafter Solidarność und Charta 77 für reaktionäre Ausgeburten des Antikommunismus hielten, westdeutsche Schriftsteller und Intellektuelle noch den eiskalten Frieden gegen Freiheit und Menschenrechte auszuspielen versuchten.

Die Revision, also die radikale Überprüfung intellektueller und politischer Überzeugungen gilt in Deutschland immer noch als Verrat an der Sache, ja, als charakterlose Fahnenflucht, bei der nur die vermeintlich niedrigsten Motive in Frage kommen: bourgeoise Anpassung an die Verhältnisse und/oder Geld in großen Mengen, in jedem Fall: krude Korruption.

Wie auf Abruf kam so der „linke“ Zwischenruf aus dem Publikum, als Reich-Ranicki Biermanns Wort von 1983 — „Der Kommunismus ist doppelte Unterdrückung und doppelte Ausbeutung“ — zitierte. „Und der Faschismus hier?!“ skandierte eine Frauenstimme und bestätigte damit, daß sie sich in den politischen Abgründen der frühen siebziger Jahre häuslich eingerichtet hat.

„Groß ist die Freiheit in der Bundesrepublik, aber noch größer ist die Feigheit“ — als Marcel Reich-Ranicki mit seiner Laudatio auf den „gescheiterten Revolutionär, siegreichen Poeten und preußisch-deutschen Ikarus“ zum Ende kam, hob zum zweiten Mal ein dünnes Pfeifen und Rufen an. Im Augenblick, da Biermann ans Rednerpult tritt, herrscht angespannte Stille. „Georg Büchner hat gesagt: Friede den Hütten, Krieg den Palästen. So viel zum Golfkrieg.“ In die wieder aufbrandenden Rufe und Pfiffe schleudert er seelenruhig die Drohung mit seiner stärksten Waffe: „Locken Sie mich nicht in Maulschlachten. Sie wissen, ich kann das.“

Danach mußte er nur noch ein aufdringlich nahegerücktes Kamerateam verscheuchen, und schon konnte er sich auf sein umfangreiches Redemanuskript konzentrieren, das Du, lieber Willi, am kommenden Donnerstag in der 'Zeit‘ in aller Ruhe nachlesen kannst. Auch bei dieser Rede wurde ich den Gedanken nicht los, daß jeder in dem Zeitalter lebt, dessen intellektueller Zeitgenosse er ist. Um es kurz zu machen: Biermann ist ein Einundneunziger, der auch jetzt nicht dem „Teilen“ und „Versöhnen“ das Wort redet, sondern „seine Ossis“ und ihr „breitärschiges Selbstmitleid“ beschimpft, daß es eine Art hat. „Ich mag sie nicht mehr. Sie wurden mir vor 16 Jahren gestohlen, und sie können mir gestohlen bleiben. Sie wollten billig davonkommen, und sowas hat seinen Preis.“ Eben noch abschätzigen Blicks gegenüber Tschechen, Slowaken und Polen, die „erst einmal arbeiten lernen sollten“, schauen sie nun neidvoll und larmoyant gen Westen auf den „gräßlichen Fatalismus der Geschichte“, der ihnen den großen BMW der Fünferklasse vorläufig ebenso verwehrt, wie das Gefühl, zu den Siegern zu gehören. „Es kotzt mich an“, sagt Biermann und will doch ein „lachendes Verzeihen“ lernen, einen Abschluß mit jener DDR-Geschichte, die „nicht durch eine Revolution“ verschwand, sondern „eher durch einen günstigen Notverkauf der Russen“.

Daß Büchners Hessischer Landbote heute als Bestseller gegen Welthunger, Rüstungswahn und Umweltkrieg auf den Tischen von Dugendubel und Montanus liegt, ist, so Biermann sarkastisch, ein „historischer Fortschritt, oder?!“ Aber was für einer?! Doch dem „gräßlichen Fatalismus der Geschichte“ ist weder von den zutiefst guten deutschen Gesinnungstätern mit dem „schlichtgewirkten sozialistischen Gemüt“ beizukommen, noch mit jener neudeutschen Flapsigkeit, deren Erinnerungsvermögen gerade bis zur letzten Dingsda-Sendung reicht.

Apropos Erinnerung: Klaus Höpcke schrieb 1965 im 'Neuen Deutschland‘ über Wolf Biermann: „Sein ,Skeptizismus‘, dessen ,dürftige Postulate des bürgerlichen Individualismus‘ sich der ,Übermenschenideologie eines Nietzsche‘ näherten, ließen ihn ,alte Parolen der Demagogien der kapitalistischen Gesellschaft feilbieten‘, wofür er von ,monopolbourgeoiser Kritikerhand mit tätschelndem Streicheln‘ bedacht werde.“

Lieber Willi, wenn das nicht zum Totlachen ist.

Beste Grüße aus Frankfurt am Main Reinhard Mohr

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