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KOMMISSION LEGT PLÄNE GEGEN WOHNUNGSLEERSTAND IM OSTEN VORDer falsche Expertenrat

Dem Fluch folgte der Segen: Nach jahrelangem, ungehemmtem Verfall kam für die meisten ostdeutschen Innenstädte die Wende gerade noch rechtzeitig. Doch dann folgte dem Segen der Fluch: Heute stehen im Osten über eine Million Wohnungen leer. Es gibt Kommunen, in denen jede vierte Wohnung ohne Mieter ist. Vielerorts bedroht das die Handlungs- und Überlebensfähigkeit der Städte. Soziale Brennpunkte entstehen, kommunale Wohnungsgenossenschaften stehen vor dem Ruin.

Gestern stellte eine Kommission der Bundesregierung dar, wie dem Problem beizukommen sei. Nicht nur, dass derlei Überlegungen viel zu spät von offizieller Seite angestellt wurden – schließlich zeichnete sich der Leerstand seit Jahren ab. Die Experten haben auch den falschen Rat parat. Sie empfehlen, den Kauf von Altbauwohnungen stärker zu fördern, die Neubauzulage dagegen zurückzufahren. Eine dreiköpfige Familie, die sich in Magdeburg ein Einfamilienhaus bauen möchte, bekommt also künftig 20.000 Mark weniger staatliche Zuschüsse als in Hannover. Die dort gezahlten 52.000 Mark soll im Osten nur bekommen, wer eine Altbauwohnung kauft. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur ungerecht – sie fördert auch die weitere Abwanderung. Richtig wäre, das Altbaueigentum im Osten stärker zu bezuschussen, statt den Neubau dort zu bestrafen.

Zweitens schlagen die Experten vor, die Abrissbirne walten zu lassen. Soweit das die grauen Plattenbau-Trabantenstädte betrifft, kommt dieser Vorschlag nicht unerwartet, weil nahe liegend. Der Abriss soll aber auch die Altbausubstanz in den Innenstädten treffen. Wenn jetzt – wie etwa in Leipzig geplant – hunderte Gründerzeithäuser abgerissen werden, ist das nichts anderes als eine Fortsetztung des städtebaulichen Desasters der DDR.

Der Wohnungsleerstand ist kein besonderes Problem Ostdeutschlands. Vielmehr illustriert er das Problem dort: Massenarbeitslosigkeit, industrieller Niedergang, mangelnde Wirtschaftskraft. Der Leerstand ist nämlich nicht flächendeckend: Überall dort, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, da ist auch der Bevölkerungsrückgang am stärksten. Es gibt Städte, die jeden vierten Einwohner verloren haben – oft gut ausgebildete, wendige Menschen, die im prosperierenden Westen neu begannen. Solange im deutschen Osten die Wirtschaft darnieder liegt, wird es auch den Wohnungsleerstand geben. Bis sich ein Aufschwung einstellt, sollte statt innerstädtischen Abrisses – der das Problem nicht löst – lieber innerstädtisches Wohnen subventioniert werden. Und zwar nicht nur bei Eigentümern, sondern auch bei Mietern. So schafft man einen kleinen Standortvorteil und erhält sich Chancen für die Zukunft. NICK REIMER

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