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KOMMENTAREZum Erfolg verdammt

■ Auf der rot-grünen Hessenkoalition lastet großer Druck

Es war ein ermutigendes Signal für den sozialdemokratischen Landesvorsitzenden Hans Eichel, daß gestern im hessischen Landtag alle Stimmen der Koalitionsabgeordneten für den Ministerpräsidenten Hans Eichel in der Wahlurne lagen. Seine sozialdemokratischen Vorgänger Holger Börner und Hans Krollmann hatten bei wichtigen Wahlentscheidungen im Landtag abweichendes Stimmverhalten der eigenen Fraktionäre immer einzukalkulieren. Die zweite sozialökologische Koalition in Wiesbaden hat ihre erste Bewährungsprobe bestanden — härtere werden folgen.

Hans Eichel und sein Stellvertreter Joschka Fischer sind zum Erfolg verdammt. Die roten und grünen Koalitionäre werden für die von ihnen prognostizierte „Normalität“ dieser neuen Verbindung den Nachweis erbringen müssen — und die Republik wird mit Argusaugen die Vorgänge in der Wiesbadener Staatskanzlei verfolgen. Auch wenn Hans Eichel wiederholt erklärt hat, daß die rot- grüne Koalition in Wiesbaden kein „Modell Deutschland“ sei, wird in Hessen — mehr noch als in Niedersachsen — der alte Brandtsche Traum von einer stabilen politischen Mehrheit gegen die Kohlsche Union einer praktischen Testphase von der Länge einer vollen Legislaturperiode ausgesetzt sein. Eichel und sein mit Männern und Frauen paritätisch besetztes Kabinett werden einen politischen Balanceakt aufzuführen haben. Die rot-grüne „Normalität“ in Hessen muß sich von der langweilig-grauen Regierungspraxis der Wallmänner oder auch der rot-grünen Magistralen im Frankfurter Römer demonstrativ und ganz praktisch unterscheiden: Der angekündigte „ökologische Umbau“ muß tatsächlich stattfinden, die „neuen Akzente in der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ müssen nachvollziehbar umgesetzt werden — und das bei chronisch leeren Kassen.

Die Koalitionäre in Wiesbaden stehen unter Druck. Und der kann nur dann ausgehalten werden, wenn die Koalitionsfraktionen — wie bei der Wahl Eichels zum Ministerpräsidenten — ihre Partikularinteressen zurückstellen und der Landesregierung kritisch-solidarisch den Rücken stärken. Hans Eichel scheint ein ehrlicher Makler zu sein. Mit politischen Leistungen darf er die „sturen Hessen“ auch fordern — nur langweilen darf er sie nicht. Klaus-Peter Klingelschmitt

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