KOMMENTARE: Aufklärung — hausgemacht
■ Wie der VS in Travemünde die Zukunft verschläft
Es ging um große Fragen beim Vereinigungskongreß der deutschen Schriftsteller: wie mit belasteten Autoren zu verfahren sei, ob der VS auch seine eigene Vergangenheit einer kritischen Prüfung unterziehen wolle — und ob er sich künftig als Gewerkschaft ohne Gesinnungsanspruch oder als Gesinnungsgemeinschaft mit Gewerkschaftsanspruch verstanden wissen will. Alle drei Fragen wurden mit einem klaren Jein beantwortet, und dafür ließ man sich zweieinhalb Tage Zeit. Das Problem, ob mittels einer Satzungserweiterung der Beitritt eindeutig belasteter Kollegen — genannt wurde in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise einzig Hermann Kant — rückgängig gemacht bzw. verhindert werden könnte, wurde einen Nachmittag lang besprochen. Der Redestil ließ allerdings befürchten, der kostenlos gereichte Kaffee für die Delegierten wäre von einem Schlafmittelproduzenten gesponsert worden. Wer etwas Substantielles zu diesem Thema hätte beitragen können, war nicht anwesend oder schwieg sich aus. Die Opfer der ehemaligen SV- und VS-Politik brachten offenbar dem gegenwärtigen VS nicht genügend Vertrauen entgegen, um den Kongreß zu besuchen — oder betrachteten ihn nicht als wichtig genug. Die prominenten Täter wiederum blieben ebenfalls fern — Hermann Kant mit der originellen Begründung, sein Erscheinen würde eine Sachdiskussion sofort zu einer Personaldebatte machen, womit er offenließ, wie eine Sachdebatte, bei der es um das Verhalten von Personen geht, denn wohl geführt werden könne.
Die gutgemeinte Belanglosigkeit der Veranstaltung wurde auch in der Behandung der zweiten Frage offenkundig: Da wurde eine Aufklärungskommission zur Geschichte von VS und SV einzurichten beschlossen, und Gegenstand der Diskussion war einzig die Besetzung dieser Komission: möglichst paritätisch selbstverständlich, und möglichst föderativ. Kein Name wurde genannt, der dieser Kommission die Weihen von Kompetenz und Öffentlichkeitswirkung hätte verleihen können — die Vereinsverbundenheit war wichtiger. So wird nun diese Kommission aus Delegierten gebildet, die, so steht zu befürchten, unter vergleichbaren Bedingungen ernannt werden wie der neu gewählte Vorstand des VS: Wer drei Sätze hintereinander sprechen kann, ohne sich öfter als zweimal zu verhaspeln, wird mangels Alternative mit freundlichem Beifall gewählt.
Die wichtigste Frage schließlich blieb unentschieden. Uwe Friesels Vorschlag, per Satzungserweiterung die Aufnahme belasteter Kollegen zu verhindern, wurde nach erschöfender Debatte an den Vorstand zurückverwiesen — zu einer Abstimmung fehlte es an Zeit. Nicht an Zeit fehlte es wiederum, einen Solidaritätsappell an die Streikenden in der Papier- und Kunstsoffindustrie einstimmig zu verabschieden und die Zugänglichkeit der alten SED-Archive zu diskutieren... Bei den Grünen ist diese Rubrik „gut gesagt und folgenlos“ gemeinhin der Palästina-Frage gewidmet. Da aber Uwe Friesel mit großer Mehrheit und ohne Gegenkandidaten im Amt bestätigt dem neuen Vorstand (der ebenfalls ganz und gar paritätisch ist, nur die Geschlechterfrage blieb mangels weiblicher Bewerbungen leider ungelöst), ist anzunehmen, daß dieser Vorstand eine Satzungspräambel verabschieden wird, die belasteten Autoren die Mitgliedschaft einstweilen vorenthalten wird.
Der VS hatte zu Zeiten, da Herz und Geist mehrheitlich links geortet wurden, seine große Epoche. Der gesellschaftliche Konsens indes hat sich geändert, und so war man über den Schirmherren Schäuble dankbar und beglückt. Der ließ es an warmen Worten nicht fehlen und nutzte die Gunst der Stunde: Wenn schon die großen Autoren fehlen, dann dürfen es die Politiker sein, die einer Tagung des VS die Weihen der Wichtigkeit verleihen. Schäuble warnte vor der Selbstgerechtigkeit des Westens und empfahl in sanfter Manier die Position seines Parteikollegen Filbinger: Was damals recht war, kann heute nicht ganz unrecht ein; und im übrigen kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Damit entschädigte er alle, die in der DDR nun Aufträge und Einkommen verloren haben, mit dem guten Willen der Bundesregierung, es damit auch sein Bewenden haben zu lassen — und das wurde gern gehört. Der VS hat sich für den Mittelweg entschieden.
Aufklärung ja, aber hausgemacht. Debatte ja, aber ohne die direkt Betroffenen. Gewerkschaft ja, aber nicht ohne moralischen Anspruch. Offene Ächtung nein, aber doch potentielle Heimstatt für die ehemals Vertriebenen. Zur Bilanz der Veranstaltung gehört auch Uwe Friesels Eingeständnis, durch seine Vorstandstätigkeit seien ein Roman sowie ein Kriminalroman ungeschrieben geblieben. Der Schattenriß dieses Kongresses — größer als er und bestehend aus denen, die nicht kamen oder nicht dringlich genug geladen wurden, und aus dem, was nicht gesagt oder beschlossen wurde — wird damit in schwer entscheidbarer Weise verlängert. Elke Schmitter
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