KOMMENTARE: Armutsunion
■ Das Rentenüberleitungsgesetz treibt Millionen ostdeutsche Frauen in die Altersarmut
Frauen in der ehemaligen DDR waren in aller Regel voll erwerbstätig, wenn auch zu durchschnittlich schlechteren Löhnen als die Männer. Und sie konnten damit rechnen, dies bis zum 60. Lebensjahr zu bleiben. Diese lebenslange Berufstätigkeit war Grundlage ihrer Rentenansprüche. Auch die zeitweilige Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit zwecks Kinderpflege oder Altenbetreuung minderte ihre Ansprüche nicht, weil es im Versicherungsrecht der DDR großzügige Anrechnungsrichtlinien gab. Insofern konnten die Frauen in der DDR, bei aller Kärglichkeit der schließlich ausgezahlten Renten, auf eine eigenständige Existenzsicherung im Alter rechnen. Damit ist es nun bald vorbei: Das voraussichtlich ab 1992 in Ostdeutschland geltende Rentenüberleitungsgesetz und die wohl kaum vorübergehende Massenarbeitslosigkeit der Frauen werden dazu führen, daß Millionen Frauen in den neuen Ländern im Alter unterhalb der Armutsgrenze leben werden.
Von „Vertrauensschutz“, einem der ehernen Prinzipien des bundesdeutschen Rentensystems, kann dabei keine Rede mehr sein. Denn Hunderttausende Frauen in der DDR haben im Vertrauen auf lebenslange Arbeitsplatzsicherheit und auf die Anrechnungsregelungen des DDR-Rentenrechts ihre Berufstätigkeit zeitweilig zugunsten ihrer Kinder unterbrochen. Die Arbeitsplatzsicherheit ist mit der Planwirtschaft untergegangen, die günstigen Anrechnungsregelungen des DDR-Rentenrechts sollen mit dem Rentenüberleitungsgesetz abgeschafft werden. Nur wer bis 1995 das Rentenalter erreicht, kann mit mehr oder weniger günstigen Übergangsregelungen rechnen, die eine Anspruchsminderung gegenüber altem DDR-Recht verhindern. Wie soll also eine heute 45jährige Frau, die ihre Berufstätigkeit wegen ihrer drei Kinder acht Jahre unterbrochen hat und die jetzt ihren Arbeitsplatz unwiderbringlich verliert, im Alter zu einer menschenwürdigen Rente kommen? Ihre Rente wird, wie bei vielen westdeutschen Frauen auch, unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegen.
Mit der Übertragung des bundesdeutschen Rentensystems greifen nun auch in Ostdeutschland die „normalen“ Diskriminierungsmechanismen der weiblichen Altersarmut, die schon in Westdeutschland dafür sorgen, daß die Rentenversicherung nicht schon längst pleite gegangen ist. Denn durch die höhere Lebenserwartung und durch die frühere Verrentung der Frauen sind zwei Drittel aller Rentenbezieher weiblich. Gleichzeitig offenbart sich hier besonders krass die Agonie eines sozialen Sicherungssystems, daß allein auf die Erwerbsarbeit abgestellt ist und damit zwangsläufig alle Lebenstätigkeiten jenseits der unmittelbaren Berufstätigkeit mehr oder weniger deutlich von sozialer Sicherung ausschließt. Die Einführung einer allgemeinen sozialen Mindestsicherung wird jetzt überfällig, um die in Ostdeutschland drohende Massenarmut abzuwenden. Martin Kempe
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