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KOMMENTAREJenseits der Lüge

■ Das Thomas-Verfahren in den USA — ein nationaler Riß entlang der Geschlechter

News and stories von einem anderen Stern? Da hält eine ganze Nation den Atem an und beobachtet live im Fernsehen mit einer Mischung aus Voyeurismus und wütender Parteilichkeit eine Frau, die en detail schildert, wie ein angehender Richter des Obersten Gerichtshofs sie sexuell bedroht hat; und wie dieser angehender Hüter der US-Verfassung alles dementiert und sich selbst als Opfer einer rassistischen Kampagne sieht. Da überschlagen sich JournalistInnen und PsychologInnen und andere selbsternannte Fachleute in Spekulationen über die menschliche Fähigkeit zu lügen — und ereifern sich über Sinn und Unsinn von Lügendetektortests. Und natürlich ist das die Zeit der Meinungsforschungsinstitute: Laut aktueller Umfrage glauben die meisten AmerikanerInnen nicht, daß der schwarze Kandidat Clarence Thomas seine schwarze Ex-Assistentin Anita Hill sexuell „belästigte“.

Nur, so tragisch das für einen der beiden auch sein mag, die Frage lautet längst nicht mehr, wer hier möglicherweise gelogen hat. Die Frage ist: Ist es denkbar, vorstellbar, durchführbar, daß Männer in Zukunft einen Karriereknick erleiden, weil sie sich dessen schuldig gemacht haben, was in den Augen der meisten weiterhin nur ein „Kavaliersdelikt“ ist: sexuelle Gewalt gegen Frauen, im Deutschen „Belästigung“ genannt — als ließe sich diese mit einer energischen Handbewegung verscheuchen. Die Frauen in den USA, allen voran die Politikerinnen in Senat und Repräsentantenhaus, und die feministischen Lobbygruppen haben anfangs wutentbrannt gegen nichts weiter protestiert, als gegen die Arroganz der Macht ihrer männlichen Kollegen. Denn die haben die Vorwürfe gegen Thomas nach einem kurzen Gespräch „von Mann zu Mann“ in altbewährter Kumpanei einfach für erledigt erklärt. (Was sie vielleicht nicht getan hätten, wenn es um die „Belästigung“ einer weißen Frau gegangen wäre.)

Jetzt ist aus dem Protest ein Kampf um einen politischen Präzedenzfall geworden: Wird Thomas — ob schuldig oder nichtschuldig — zum Richter ernannt, dann ist das ein Signal, daß sexuelle Gewalt auch in Zukunft der männlichen Karriere zumindest nicht schadet. Angesichts des Organisationsgrades der US-amerikanischen Frauengruppen, von dem die deutschen nur träumen können, darf sich der Männerklub im US-Senat dann allerdings auf einen Sturmlauf gefaßt machen. Andrea Böhm

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