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KOMMENTAREDe Cuellars Schuhe sind groß

■ Wird dem neuen UNO-Generalsekretär die Fortsetzung der UNO-Reform gelingen?

In zehn Jahren beharrlicher, bescheidener, immer wieder von bitteren Frustrationen gezeichneter Arbeit hat Xavier Perez de Cuellar dem Amt des UNO-Generalsekretärs etwas von dem Profil zurückgewonnen, das ihm die Gründer der Vereinten Nationen zugedacht hatten. Ungleich dem machtlosen Generalsekretär des Völkerbundes erhielt der Chef der UNO nicht nur Hoheit über seinen Apparat. Die Satzung erlaubte ihm auch eigenständige politische Initiativen. Bis hin zu Kurt Waldheim, jenem „mageren, seichten, untauglichen Mann“ (so die UNO-Kritikerin Shirley Hazzard), zogen es die Generalsekretäre allerdings vor, ihre Politik in den Grenzen des von den Großmächten, insbesondere von den USA Erlaubten zu halten. De Cuellar erreichte mit seinen „guten Diensten“ und mit Hilfe qualifizierter Mitarbeiter den Durchbruch in einer Reihe schier unlösbarer Konflikte, zuletzt in dem bislang größten UNO- Projekt: der Befriedung Kambodschas.

Da für eine UNO-Reform an Haupt und Gliedern, die vor allem mit der Privilegierung der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und der gegenwärtigen Konstruktion der Generalversammlung hätte brechen müssen, keinerlei Realisierungschancen absehbar waren, konzentrierten sich die Hoffnungen de Cuellars und seiner Freunde auf die Stärkung der Exekutive, eben des Generalsekretärs. Das Ende der Ost-West-Polarisierung war solchen Vorhaben günstig, sie fanden auch Eingang ins „Neue Denken“ der sowjetischen Außenpolitik, wie die Vorschläge von Gorbatschow und Schewardnadse zur UNO-Reform beweisen.

Gemeinhin denkt man sich den UNO-Diplomaten als zurückhaltend, im Verborgenen wirkend, um jeden Preis darauf bedacht, seine Position als unabhängige Instanz nicht zu gefährden. Dieses Bild hatte mit der Wirklichkeit nie etwas gemein, auch bei de Cuellar nicht. Aber der Kunst zur Selbstdarstellung entsprach bei dem letzten Generalsekretär wenigstens selbstbewußtes, auf Erweiterung des Spielraums der Welt-Exekutive orientiertes Handeln.

Es fällt schwer, seinem Nachfolger Ghali eine Fortsetzung dieser Linie zuzutrauen. Zu deutlich steht seine Wahl im Zeichen des Kompromisses zwischen den Forderungen vor allem der „jungen“ Staaten Afrikas und dem Beharren der Supermächte auf einem berechenbaren, sprich manipulierbaren Kandidaten. Ghali bietet alles auf, was die Ängste des „Westlers“ zerstreut: Er ist Christ, mit einer Jüdin verheiratet — und er steht an der Schwelle zum Greisenalter. Gewiß, es gibt Kulturkreise, in denen die — manchmal unheilvolle — Karriere eines Politikers erst in seinen Siebzigern und Achtzigern dem Zenit zustrebt. Aber es bedürfte einer energischen, wenn irgend möglich zwei Amtsperioden umfassenden Arbeit, um den Erfordernissen einer Epoche gerecht zu werden, die immer dringlicher nach supranationalen Konfliktlösungen ruft.

Der neue Generalsekretär muß die ihm schon jetzt zugestandenen Rechte, vor allem seine Möglichkeit, den Sicherheitsrat auf drohende, krisenhafte Entwicklungen hinzuweisen, voll ausschöpfen. Er muß darauf bestehen, daß Fact-finding- Missions und die Entsendung von Beobachtern unter seiner Regie möglich sind und nachträglich auch finanziert werden. Vor allem aber muß er in der Auseinandersetzung um die Erweiterung seiner Befugnisse die Weltmeinung auf seine Seite ziehen. Mit einem Wort: Er wird kämpfen müssen. Christian Semler

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