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KOMMENTAREInnere Abrüstung

■ Die Entlassung einiger RAF-Häftlinge trägt zur Zivilisierung der Bundesrepublik bei

Jedes Land hat die Terroristen, die es verdient. Die alte Bundesrepublik schleppte als ihr spezifisches terroristisches Erbe die RAF, die Rote Armee Fraktion, in das neue Deutschland hinüber. Sparen wir uns die Entstehungsgeschichte — den Weg von der Anti-Atom-Kampagne über „die Gewalt gegen Sachen“, den schulterzuckend in Kauf genommenen „Tod eines Schweins“ bis zur „revolutionären“ Exekution per Genickschuß. Tatsache ist: Sowohl die Terroristen als auch ihre staatlichen und publizistischen Verfolger entwickelten nach einigen, eher improvisierenden Anfangsjahren eine spezifisch deutsche Unnachgiebigkeit, Härte und Menschenverachtung. In der Praxis der RAF und in der staatlichen Verfolgung des Terrors lebten die Freicorps, lebte auch Heinrich Himmler fort.

Der politische Terrorismus in Italien erreichte im Italien der 70er Jahre ein wesentlich größeres Ausmaß als in der Bundesrepublik — aber der Konflikt ist heute erledigt, in differenzierter Weise juristisch und politisch beigelegt. Das geschah mit pragmatischen Mitteln, mit Mitteln der gesellschaftlichen Kultur, die der Bundesrepublik (noch) fehlen. Es ist Zeit, die Instrumentarien des zivilen Umgangs in Deutschland weiter zu entwickeln, den ewigen Rächern, den Apologeten des gegenseitigen Ausrottens, Ermordens und Wegsperrens den politischen Boden zu entziehen — innere Abrüstung zu betreiben.

Dabei sind einige Lehren aus der Geschichte der RAF zu beherzigen:

—Die RAF war von Anfang an isoliert hinsichlich ihrer Methoden; sympathisch aber erschien vielen ihr prinzipieller Kampf gegen das staatliche Gewaltmonopol. Das jedoch ist heute nicht mehr umstritten. Deshalb kann es insgesamt flexibler und zurückhaltender wahrgenommen werden. Das gilt auch für die Strafjustiz.

—Die Kampagne zur Amnestie der RAF-Gefangenen ist gescheitert, zuletzt an der Unwahrhaftigkeit von Jürgen-Peter Boock, der die Begnadigungsinitiative des Bundespräsidenten diskreditierte und den Hardliner und früheren Generalbundesanwalt Rebmann nachträglich ins Recht setzte. Der Amnestiekampagne lag der Gedanke zu Grunde, die gefangenen Terroristen als Kollektiv gegenüber anderen Gefangen zu privilegieren, von ihrem individuellen Schuldanteil zu Gunsten des gemeinsamen (politischen) Ziels abzusehen. Dieser Versuch war falsch und wurde daher — leider nur stillschweigend — beerdigt.

Was bleibt ist zum einen der mutige aber eigentlich selbstverständliche Vorschlag von Justizminister Kinkel und Generalbundesanwallt Stahl, die kranken Häftlinge der RAF vorzeitig zu entlassen und für diejenigen, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt sind, zu prüfen, ob die Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Inhaftierten müssen diesem Verfahren zustimmen — damit verzichten sie aber auf den selbstbeigelegten Ehrentitel des „politische Gefangenen“. Sie werden behandelt wie andere Häftlinge auch. Zum anderen ist es notwendig, in der Bundesrepublik neue Anstrengungen zur Humanisierung des Strafrechts zu unternehemen, die Strafmaße generell zu senken und die Möglichkeiten zu Bewährungsstrafen auszuweiten.

Zurecht weist die 'Süddeutsche Zeitung‘ darauf hin, daß von 57 zu Lebenslänglich verurteilten Nazi-Gewaltverbrechern mehr als ein Drittel bereits im Lauf der ersten zehn Jahre auf dem Gnadenweg entlassen wurde. Tatsächlich konnte man unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen davon ausgehen, daß diese Megamörder nicht rückfällig werden würden. Nach den Veränderungen der letzten Jahre kann ohne Zweckoptimismus unterstellt werden, daß Freiheit auch verbohrte oder einfach von der Realität isolierte Terroristen heilt und garantiert, daß sie zu Ex-Terroristen werden — auch dann, wenn sie nicht ausdrücklich abschwören. Götz Aly

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