KOMMENTARE: Makabre Silhouette
■ Hermann Göring, das Detlev-Rohwedder-Haus und die Faulgase deutscher Geschichte
Am Donnerstag ist es soweit. In den Morgenstunden wird der Kanzler mit unserer Bundesluftwaffe in die alte und neue Hauptstadt einschweben und, wie er es so gerne tut, den Mantel der Gechichte — das Zwangsjäckchen der deutschen Geschichte — streifen. Wieder einmal werden Faulgase entweichen, verstohlen werden sich einige der Ehrengäste ihr Taschentuch vor die Nase halten. Doch dann: ein trotziges Dennoch und schon wird Hermann Görings einstiger Dienstsitz Detlev-Rohwedder-Haus heißen. Kohls rätselhafter Hang zu exhibitionistischer Nekrophilie — zuerst in Bitburg und zuletzt in seiner Rolle als oberster Fritz-II-Grufti dargeboten — wird eine weitere Blüte treiben, der Umstand, daß Tote sich gegen keine Geschmacklosigkeit wehren können, eine eigenartige Bestätigung erfahren.
Die Treuhand hat ihren Sitz an einem ausgesucht häßlichen Ort — im ehemaligen Haus der Ministerien der DDR, dem früheren Reichsluftfahrtministerium. Dort residierte auch der im letzten Jahr ermordete Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder. Architekt des 1933 im höchsten Auftrag geplanten Gebäudes war Ernst Sagebiel, der uns auch die Fascho-Bauten des Flughafens Tempelhof hinterließ. 1936 war das Reichsluftfahrtministerium an der Ecke Prinz-Albrecht-/Wilhelmstraße fertiggestellt. Hermann Göring zog ein. Die seltsam lebensfeindliche, sarkophagartige Quaderarchitektur sollte der „Suggestion der eigenen Stärke“, der „Materialisierung des Machtanspruchs“ dienen. So jedenfalls steht es in einer neueren Broschüre des Berliner Landesarchivs. Ein Stadtführer der 30er Jahre beschreibt den Bau als „in Stein gehauenes Dokument des wiedererwachten Wehrwillens und der wiedergeschaffenen Wehrfähigkeit im neuen Deutschland“. Göring fand seine Residenz schlicht „grandios“. Der Bau war — und insofern bestehen widersprüchliche Kontinuitäten zur derzeitigen Nutzung — ausdrücklich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geplant worden, auch sollten der Abriß der alten (barocken) Gebäude und der Bau des neuen Monsters für jedermann erkennbar den Bruch mit der alten, der „Systemzeit“ markieren.
Das künftige Detlev-Rohwedder-Haus liegt nicht irgendwo, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Reichssicherheitshauptamt, heute eine Brachfläche, die man mittlerweile mit der Ausstellung „Topographie des Terrors“ verbindet, der Fläche, auf der nach den Vorstellungen einer von Lea Rosh und anderen inspirierten Initiative ein Denkmal für die ermordeten europäischen Juden errichtet werden soll. Die Brache und die makabre NS-Silhouette des einstigen Dienstsitzes von Hermann Göring gehören zu diesem Ort des Gedenkens. Mehr noch: Göring war von 1938 an für die „Judenfrage“ zuständig und delegierte einen Teil seiner Macht an das Reichssicherheitshauptamt, während er einen anderen Teil ganz persönlich in der Hand behielt, nämlich die wichtige wirtschaftspolitische Seite der „Entjudung“. Zu diesem Zweck gründete er zum Beispiel eine Haupttreuhandstelle, die dafür da war, die enteigneten Vermögen von Juden und Staatsfeinden zu übernehmen; die Betriebe wurden dabei teils als unrentabel oder nicht kriegswichtig stillgelegt und teils an „arische Kaufwerber“ verkauft...
Fast sieht es so aus, als wolle der Kanzler Rohwedder mutwillig in die Nähe dieser Tradition rücken. Man muß annehmen, der gelernte Historiker Kohl wolle erreichen, daß der von ihm geschätzte Sozialdemokrat schon am Ende dieser Woche aus Anlaß der Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Wannseekonferenz ständig genannt werden muß. Etwa so: „Am 12. November 1938, also unmittelbar nach der Pogromnacht, fand im Reichsluftfahrtministerium, dem heutigen Detlev-Rohwedder-Haus, eine große Konferenz zur sogenannten ,Judenfrage‘ statt: Hier wurden die Gründzüge für die Judenpolitik der nächsten Jahre festgelegt. Diese Politik spitzte sich immer weiter zu, bis Göring 1941 den Chef des SD und der Sicherheitspolizei Heydrich in das Detlev-Rohwedder-Haus kommen ließ, um ihm endgültig den Auftrag zur ,Endlösung‘ zu erteilen...“
Helmut Kohl hat seine eigenen Auffassungen vom genius loci. „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“, wird er denjenigen bedeuten, die sich vielleicht in letzter Minute als näselnd-verschnupfte Bedenkenträger entpuppen. Bisher hat sich noch keiner gemeldet. Vielleicht fällt den engsten Angehörigen Rohwedders ja noch auf, an welchem Ort ihr Familienname hier verewigt werden soll. Gegen Helmut Kohls festen Willen werden sie nichts ausrichten. Aber möglicherweise können sie doch folgenden unumkehrbaren Beschluß durchsetzen: Der Palast der Republik wird unter Denkmalschutz gestellt und später einmal, dann aber sofort, in Helmut-Kohl-Halle umbenannt. Götz Aly
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