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KOMMENTAREAutonomes Ferienparadies Krim

■ Die Unabhängigkeitserklärung konfrontiert Russen mit Ukrainern und Tataren

Es ist nicht einfach ein Stück Ukraine, das sich mit der Souveränitätserklärung der Krim vom Dienstag selbständig gemacht hat, es ist das Urlaubsparadies der ehemaligen Sowjetunion, ihr mediterraner Traum im trüben Alltag. Natürlich stecken hinter der jetzigen Proklamation der Unabhängigkeit die alten Kader und die imperialen Offiziere der Schwarzmeerflotte, die gern bei Rußland geblieben wären. Das vorgesehene Referendum wird von einer Bevölkerung entschieden, die sich trotz der bislang sehr liberalen ukrainischen Nationalitätenpolitik vor einer kulturellen Überwältigung fürchtet. Damit jedoch wird die Sezession auch den alltäglichen Gegensatz zwischen Russen und Ukrainern, der außerhalb der Westukraine bislang nicht sonderlich spürbar war, verschärfen. Wie in Transnistrien, das sich von Moldawien abspaltete, sind sicherlich bald russische Kosaken zu erwarten, die die heilige russische Erde verteidigen wollen.

Unter Katharina II. war das Krim-Chanat Ende des 18. Jahrhunderts an Rußland gekommen. Die Kaiserin ließ die fruchtbaren Gebiete an russische Adlige, die Kirche und Neusiedler aller christlichen Völker des Reiches verteilen und drängte die Tataren in die unfruchtbaren und trockenen Regionen ab. Die Halbinsel wurde zum Italien der russischen Seele. Ihre Autonomie in den zwanziger Jahren war — wie alle sowjetischen Autonomien — fiktiv; und wie viele Fiktionen begründete sie Rechtsansprüche. Immerhin war Tatarisch neben Russisch Staatssprache der Krim-Republik. 1944 ließ Stalin die Tataren unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den Deutschen unter schrecklichen Opfern nach Mittelasien umsiedeln. Die Krim war nun wieder Teil Rußlands, bis Chruschtschow sie der Ukraine schenkte; die Sowjetunion war damals real, die Souveränität der Ukraine fiktiv, die Schenkung politisches Theater. Aber heute zeigt sich, daß auch sie Ansprüche begründete. Das Recht der Russen auf Selbstbestimmung kollidiert mit dem der Krimtataren auf ihre Heimat. Verletzt ist auch das Recht der Ukraine auf die Unversehrtheit ihres Territoriums. Verbündet sind in dieser Situation die Nationalbewegungen der Ukrainer und der Tataren, die seit vielen Jahren um ihre Rehabilitierung gekämpft hatten und seit einigen Jahren — zunächst illegal — zurückgewandert waren. Ihre Zeltstädte symbolisieren einen Anspruch, den die örtliche Bevölkerung zurückweist.

Ohne militärische Hilfe Rußlands hat die Selbständigkeit der Krim keine Chance. Schon das Krim-Chanat war auf den Schutz Istanbuls angewiesen. Daß die russische Regierung sich jetzt militärisch für die Krim einsetzt, ist unwahrscheinlich. Das sonnige Ferien-Chanat bleibt ein sowohl russischer wie tatarischer Traum, der über den Wellen schwebt. Erhard Stölting

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