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KOMMENTAREDem Rechtsstaat verpflichtet

■ Die SPD will Lauschangriffe auf Privatwohnungen legalisieren

Was tut man als Oppositionspartei gegen einen Eingriff in die Bürgerrechte namens „kleiner Lauschangriff“? Man setzt sich zusammen, diskutiert ausgiebig und schlägt dann als Alternative den „großen Lauschangriff“ vor. Das ist kein Witz, sondern bundesdeutsche Oppositionsrealität. Damit es auch schön rechtsstaatlich bleibt, soll das grundgesetzlich verbriefte Recht auf die Unverletzlichkeit der eigenen vier Wände aufgehoben werden. Warum? Weil die Polizei ja sowieso andauernd gegen diesen Grundrechtsschutz verstößt und den Ordnungshütern dieses illegale Treiben nicht länger zuzumuten ist.

Das Traurige an den Meldungen über den großen Lauschangriff ist: Die Urheber glauben wirklich, sie erwiesen dem „Rechtsstaat“ damit einen Dienst und trügen überdies zum Schutz der Bürger bei. Anscheinend bemerken sie nicht einmal, wie sie von den Strategen des Sicherheitsapparats vorgeführt werden, den die SPD in dieser Opulenz in den siebziger Jahren erst selbst geschaffen hat.

Schon bevor die RAF ihre Moratoriumsvorschläge verschickt hatte und die Spione aus der Kälte langsam, aber sicher ausblieben, hatten Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und selbst der BND hinter dem Kürzel „OK“ den naheliegendsten Wachstumsmarkt für die Dienstleistung „Sicherheit“ entdeckt: Die organisierte Kriminalität, einschließlich Rauschgifthandel und Mafia, wurde zum Schlüsselbegriff jeder Sonntagsrede prominenter Vertreter der staatlich alimentierten Sicherheitsbranche. Nach mehreren Jahren propagandistischer Vorfeldarbeit und einigen Feldversuchen— beispielsweise mit Werner Mauss — ist die Idee nun zur Einsatzreife gediehen, wären da nicht so lästige Regelungen wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Trennung von polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit und das Legalitätsprinzip für die Arbeit der Polizei, die, nähme man sie ernst, den ganzen schönen Wachstumsmarkt zu verbotenem Gelände machten.

Das geht natürlich nicht, denn die Verbrecher halten sich ja auch nicht an die Regeln. Vor allem die Rauschgiftdealer, diese Schweine, die unsere Kinder vergiften, haben den Schutz des Grundgesetzes wahrlich nicht verdient. Da nimmt man sich dann doch lieber die Polizei von Los Angeles zum Vorbild: Dort hat man gerade mal wieder gesehen, wie organisierte Kriminalität ohne die lästigen Rechtsbedenkenträger wirksam bekämpft wird. Jürgen Gottschlich

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