KOMMENTARE: „Nicht einsatzbereit“
■ Die Soldaten der Bundeswehr haben keine Lust mehr auf die Armee
Anfang der 80er Jahre, die Debatte um die Nachrüstung trieb ihrem Höhepunkt entgegen, wußte die CDU die Kritik an der Bundeswehr mit einer wohlfeilen Replik zurückzuweisen. Die Herren in Mausgrau, so Kohl und sein damaliger Parteigeneral Geißler, seien die größte Friedensbewegung, die je auf deutschem Boden stand. Nach dem Ende der Mittelstreckenraketen und des kalten Krieges ist diese Behauptung nun in einer Weise wahr geworden, wie die Bundesregierung es sich wohl nie hätte träumen lassen. Bei der gestern zu Ende gegangenen Kommandeurstagung wurde erstmals öffentlich bestätigt, was man schon lange vermutete: Die Sinnlosigkeit dieser Bundeswehr ist so augenfällig, daß auch den meisten Soldaten nicht mehr das Gegenteil eingeredet werden kann. Nimmt man den Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, beim Wort, dann ist die Truppe derzeit kein kriegstaugliches Instrument.
Die erste Aufgabe des neuen Verteidigungsministers Volker Rühe ist es, diesen besorgniserregenden Zustand zu ändern. Egal wofür, aber die Leute müssen wieder motiviert werden. Da dies eher mit neuen Duschräumen als mit einem neuen Jagdflugzeug möglich wird, wird Rühe wohl den teuren Jäger 90 für die bessere Versorgung der Truppe opfern. Im Stile eines Militärpfarrers sieht er zuallererst einmal den Mensch im Mittelpunkt seines Wirkens. Doch die Annehmlichkeiten gibt es nicht umsonst. Jedem Berufs- und jedem Zeitsoldaten, so die Botschaft aus Leipzig, muß ab jetzt klar sein, daß er jederzeit auch außerhalb Deutschlands eingesetzt werden kann. Im ersten Schritt unter den Blauen Helmen der UNO, aber dabei wird es nicht bleiben.
Sowohl Rühe als auch Naumann haben unmißverständlich klargemacht, daß die Bundeswehr über kurz oder lang auch an Kampfeinsätzen der UNO teilnehmen soll. Aus Verantwortung für den Frieden, selbstverständlich. Leider wurden sowohl Rühe als auch sein Kanzler bei ihren Zukunftvisionen eher wolkig als präzis. Wollen sie Kampfeinsätze unter dem Kommando der UNO, also einen Konfliktregelungsmechanismus, den es bislang nur in der Theorie gibt, oder wollen sie die Beteiligung an Regionalkriegen, denen die UNO wie bei Kuwait nur zugestimmt hat?
Was nur ein Unterschied im Detail scheint, wird de facto zu einer der entscheidenden Fragen der globalen Konfliktregelung werden. Soldaten unter UNO-Kommando — wenn die Weltorganisation der realen Interessenlage zwischen Nord und Süd entsprechend umgebaut wird — könnten zur ultima ratio eines akzeptierten Konfliktregelungsmechanismus werden. Regionalkriege, in denen die Großmächte die UNO für ihre Interessen instrumentalisieren, sind etwas ganz anderes. Falls die Bundesregierung diese Variante anstrebt, wird sie hoffentlich auf Dauer mit einer Armee konfrontiert sein, von der die Generäle auch in Zukunft melden müssen: „Nicht einsatzbereit.“ Jürgen Gottschlich
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