KOMMENTARE: Erste Klippe umschifft
■ Die Freilassung Günter Sonnenbergs ist nur ein Schritt auf dem Weg zur politischen Lösung
Günter Sonnenberg ist frei. Die politische Bedeutung der Stuttgarter Entscheidung, den RAF-Gefangenen nach 15 Jahren aus der Haft zu entlassen, liegt in ihrer relativen Normalität. Denn entgegen allen Beteuerungen aus dem Staatsapparat war am „Fall Sonnenberg“ vom ersten Tag seiner Gefangenschaft an buchstäblich nichts normal. Er wurde eben nie „wie andere Kriminelle auch“ behandelt. Die Bedingungen im Knast waren nicht normal, der Strafprozeß war nicht normal. Und die Gesetze, die das Bonner Parlament im Kampf gegen die RAF gleich in Serie verabschiedete, waren — und sind — es auch nicht. Die Aussetzung der Haftstrafe „auf Bewährung“ entspricht den Regelungen des Strafgesetzbuches. Sie ist nur „relativ“ normal, weil der kranke Gefangene längst hätte freikommen müssen. Wenn ein Inhaftierter, wie der Stuttgarter Senat urteilt, „deutlich strafempfindlicher ist als ein gesunder Mann seines Alters“, dann ist dies nur die euphemistische Umschreibung der Haftunfähigkeit. Das Gericht hat der Bundesanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde diesen Begriff und damit den Vorwurf der Rechtsbeugung erspart.
Die Richter nehmen in ihrem Beschluß ausdrücklich auf das „Gewalt-Moratorium“ der RAF Bezug. Sie haben damit von Amts wegen anerkannt, daß sich die Entlassung nicht im politisch luftleeren Raum vollzieht. Die mit dem Namen Klaus Kinkel verbundene „Versöhnungsinitiative“, der RAF-Brief aus dem Untergrund und die Antwort der Gefangenen haben die Entscheidung ermöglicht. Sie ist, wie auch die Bestätigung des milden Urteils gegen den DDR-Heimkehrer Henning Beer, das erste Resultat eines Entspannungsprozesses, der freilich noch ganz am Anfang steht.
Die „Entspannungspolitiker“ beider Seiten müssen wissen, daß sich ihre jeweiligen Gegenüber im eigenen Lager keinesfalls souverän durchgesetzt haben: Kinkel bezog aus der staatlichen law and order-Fraktion heftige Prügel für sein Wort von der Versöhnung, die RAF und ihre Gefangenen lösten mit ihrer Gewaltverzichtserklärung in Teilen der Antiimpi-Szene ein Protestbeben aus. Unter diesen Umständen kann jeder Fehler die Hoffnung auf ein Ende der Attentate und die Freiheit weiterer Gefangener im Keim ersticken. Die Verantwortlichen auf der staatlichen Seite müssen jetzt die Dynamik des Entspannungsprozesses in Gang halten. Die Entlassung oder Begnadigung des ebenfalls kranken Häftlings Bernd Rössner steht auf der Tagesordnung. Die RAF-Gefangenen ihrerseits müssen der Versuchung widerstehen, ihre politische Niederlage nachträglich als Sieg schönreden zu wollen. Es ist nicht die Zeit des „Abschwörens“, aber auch nicht die der unerfüllbaren Forderungen. Mit der Entlassung Günter Sonnenbergs wurde eine erste Klippe umschifft, die Stromschnellen kommen noch. Gerd Rosenkranz
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