KOMMENTARE: In die neue Ära hineingetrudelt
■ Zur gestrigen Debatte im Deutschen Bundestag
Wohin geht die Reise? — Zum Frieden, zum Frieden, zum Frieden. Der Fraktionschef der größeren Regierungspartei pariert einen Zwischenruf mit Pathos. Das wurde nicht eben selten bemüht, als gestern im Bundestag über den deutschen Militäreinsatz vor der Küste des früheren Jugoslawien debattiert wurde. Viele und große Worte über Leiden, Tod und Flucht, über Verantwortung, Solidarität und Bündnisfähigkeit — vielleicht hätte das redliche Bekenntnis der Hilflosigkeit am Ende mehr bewirkt.
Kohl, Kinkel und Rühe wollten mit dem Einsatz des deutschen Zerstörers endlich Fakten für die neue deutsche Außenpolitik schaffen. Aber die Regierungserklärung von Außenminister Klaus Kinkel legte nicht weniger als der Auftritt des Verteidigungsministers bloß: Die deutsche Politik ist in die Ära nach dem Umbruchjahr 1989 nur hineingetrudelt. Regierung, und nicht viel anders die Opposition, reagieren auf die neue Zeit je mit den alten Reflexen. Es ist ein Unglück, daß ausgerechnet am Fall des kriegszerrissenen Jugoslawien und des Genozids an der bosnischen Bevölkerung die Deutschen darüber diskutieren, ob ihre Soldaten wieder überall dabei sein dürfen. Union und FDP wollen den historisch begründeten Verfassungsvorbehalt loswerden. Die SPD hat kräftig daran mitgewirkt, daß die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr zur Gretchenfrage der Außenpolitik geworden ist. Sicherheits- und vorsichtshalber, aber nicht mehr aus Überzeugung auf dem Boden der bisherigen Verfassungsinterpretation, haben ihre führenden Politiker das schleichende Faktenschaffen toleriert — und ziehen jetzt nur die Notbremse. Was weder im Parlament noch in der eigenen Partei zu klären war, soll nun in Karlsruhe entschieden werden.
Die SPD wird an einem neuen Konsens für die deutsche Außenpolitik nur dann mitarbeiten können, wenn sie die Fesseln ihrer Beschlußlage abstreift. Der Sinn militärischer Interventionen kann am konkreten Ziel und Zweck überzeugender debattiert und widerlegt werden als durch die Berufung auf deutsches Sonderrecht, das mittlerweile fast den Charakter des Privilegs annimmt. Wichtiger wäre ohnehin, wenn über die Rolle der alten Militarbündnisse, über neue Konzepte der Konfliktvermeidung und -vorbeugung, über die Partner USA und Europa endlich ernsthaft geredet würde. Ist doch die EG noch nicht einmal imstande, den zwei Millionen europäischen Flüchtlingen zu helfen. Da versagt auch die Tatkraft des deutschen Außenministers. Politik mit Zerstörern ist einfacher, aber auch einfältiger. Tissy Bruns
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