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KOMMENTAREWem die Stunde schlägt

■ Heinemanns Rücktritt als Symptom für den sozialdemokratischen Niedergang

Den „Blackout“ kennen wir aus Bonn und Mainz. Kreative Beamte aus dem Düsseldorfer Gesundheitsministerium haben nun die endgültige Übersetzungsformel gefunden: „Nichtwissen“! Das, so die Empfehlung der Beamten, solle der Minister bei seiner Zeugenvernahme vor dem U-Ausschuß bei heiklen Fragen vortäuschen. Wäre der Chef trotzdem ins Schlingern geraten, sollten die SPD-Abgeordneten ihrem Genossen mit „Stützfragen“ beispringen. Daß den Parlamentariern aller Couleur im Zweifelsfall die Entlastung der eigenen Leute wichtiger ist als die Wahrheitsfindung, gehört zum augenzwinkernd akzeptierten politischen Geschäft von Kiel bis München. Wer sich darüber noch aufregt, erntet bestenfalls Spott.

Wahrscheinlich wird auch das, was jetzt in Düsseldorf bekannt geworden ist, beim Tagesgeschäft in den meisten deutschen Ministerialbürokratien praktiziert. Nur, diesmal hat es die Öffentlichkeit zum ersten Mal schwarz auf weiß: Beamte verfassen ungeniert Papiere, die im Kern darauf hinauslaufen, das Parlament zu betrügen und die Wahrheitsfindung zu unterdrücken. Wenn zur Neutralität verpflichtete Staatsdiener so agieren, dann spricht das Bände über die tatsächlichen Zustände im sozialdemokratischen Ministerialbiotop in Düsseldorf. Offenbar hat die jahrzehntelange Alleinherrschaft der SPD alle beamtenrechtlichen Fesseln gesprengt. Gut ist, was der SPD nützt — im Zweifelsfall an Recht und Gesetz vorbei.

Mit einem Ministerrücktritt kann dieser Verfall der politischen Kultur nicht geheilt werden. Die SPD allein ist zur Erneuerung in NRW nicht fähig. Jetzt schlägt die Stunde der Opposition. Vor allem die Grünen sind gefragt. Sie müssen heute das Fundament für das Ende der SPD-Autokratie legen. Dazu ist mehr erforderlich als oppositionelles Gehabe.

Die Grünen, die ihre Wächterfunktion seit dem Einzug in den Landtag bei vielen Gelegenheiten erfolgreich erfüllt haben, müssen jetzt daran arbeiten, konsistente Alternativen zur sozialdemokratischen Landespolitik zu formulieren. Sie müssen sagen, was wie mit welchen Mitteln wo anders gemacht werden soll. Billiges oppositionelles Geschrei mag ohnehin niemand mehr hören. Auch von der Lautsprecherfunktion für alternative Lobbygruppen gilt es Abschied zu nehmen. Jetzt glaubhaft die Alternative zu formulieren, heißt, auf das Absingen linkssozialistischer Forderungsarien zu verzichten. Ohne diesen Eingriff gibt es keine Chance der grün-roten Erneuerung von NRW. Walter Jakobs

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