KOMMENTAR: Am Hunger-Punkt
■ Seit einer Woche Hungerstreik gegen Zweitregister
Wenn die Ozeanriesen majestätisch die Weser hinaufziehen, dann bekommt so mancher Bremen Papi feuchte Augen. Seefahrtsromantik. Anderen reicht es schon, sich dieselbe am frühen Sonntagmorgen mit dem „Hafenkonzert“ des örtlichen Senders reinzuziehen. Da gibt es mitunter immer noch die alten Seemannsschnulzen. Indes geht es mit dem Seemannsberuf weiter bergab. Ödeste industrielle Arbeit ist das Matrosenleben heute: Schwer, schmutzig, einsam und unter Tarif bezahlt. Den Reedern und den Banken, die die Schiffahrt kontrollieren, reicht das noch nicht. Denn die Dritte Welt hält für die deutsche Wirtschaft nicht nur billige Rohstoffe, sondern auch besonders billige Menschen bereit, die auf dem mobilen Arbeitsplatz Schiff den deutschen Seemann ganz ersetzen sollen.
Die deutsche Arbeiterschaft wehrt sich bekanntlich erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bei den Seeleuten ist dieser Punkt jetzt wohl erreicht. Dafür ist der Hungerstreik ein Signal. Zwar wäre ein „richtiger“ Streik wirkungsvoller, wo die Ozeanriesen nicht mehr die Weser hinunterfahren, sondern an die Kette gelegt werden. Aber das ist ja vielleicht Seefahrtsromantik.
Michael Weisfeld
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