KOMMENTAR: Kronzeugen verkehrt
■ Der Generalbundesanwalt beantragt Kronzeugenregelung für RAF-Aussteiger
Das Signal aus Karlsruhe ist eindeutig: Die in der DDR festgenommenen ehemaligen RAF-Aktivisten sollen trotz schwerster Straftaten nicht genauso gnadenlos abgeurteilt werden, wie ihre früheren Kampfgefährten. Generalbundesanwalt von Stahl hat offenbar verstanden, daß jede andere Reaktion auf die Aussagebereitschaft und auf zehn Jahre kleinbürgerliches Leben der ehemaligen RAF-Mitglieder in der DDR in der Öffentlichkeit nicht verstanden worden wäre. Der Staat als Rache-Institution, dieses Bild sollte offenbar nicht noch einmal bekräftigt werden.
Daß die Bundesanwaltschaft ausgerechnet die Kronzeugenregelung als Hebel für mögliche milde Strafen entdeckt, entspringt eher einer Notsituation. Denn dieses einst von von Stahls Vorgänger gegen vielfältigen Widerstand durchgeboxte Gesetz operierte ja mit einer ganz anderen Vorstellung. Kurt Rebmann lebte in der auch heute noch blödsinnigen Vorstellung, er könne die linken Revolutionäre mit der Aussicht auf „Straffreiheit für Verrat“ korrumpieren. Diese Taktik mußte notwendigerweise scheitern, weil sie den hohen moralischen Anspruch ignoriert, mit dem die RAF-Kämpfer auch heute noch ihre Taten subjektiv rechtfertigen. Die Bundesanwaltschaft hat sich entschlossen die Kronzeugenregelung auf Gefangene anzuwenden, für die sie nicht gedacht war, weil das Gesetz schlicht keine andere Vorschrift hergibt: Bei Mord gibt es keine andere Möglichkeit.
Man kann sicher sein, daß zuallererst den Gefangenen ein anderer Ausweg sehr viel angenehmer gewesen wäre. Denn natürlich wird ihnen vorgeworfen werden, aus eigennützigen Motiven zu Verrätern geworden zu sein, indem sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre ehemaligen Freunde schwer belastet haben. Die ursprüngliche Absicht der in der DDR festgenommenen, mit abgesprochenen Aussagen nur den jeweils anderen aber keine Dritten zu belasten, ist gescheitert. So von der Kronzeugenregelung zu profitieren, war wahrscheinlich von Anfang an inrealistisch. Tatsächlich spielte bei den Aussagewilligen das Interesse, die Vergangenheit im Wortsinne zu bewältigen, die entscheidende Rolle und nicht die Aussicht auf Strafnachlaß. Aber wie wollen sie das denjenigen erklären, deren Aussicht auf ein Leben nach dem Knast nun endgültig oder wieder gegen Null tendiert? Gerd Rosenkranz
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