KOMMENTAR: Retten, was noch zu retten ist
■ Nach den polnischen Präsidentschaftswahlen: Die Wunder werden ausbleiben
Das politische Lager, daß wir unterstützt haben, das Lager Mazowiecki im Bündnis für Demokratie (ROAD) inklusive des Forums der Demokratischen Rechten, hat verloren. Ich möchte von diesem Platz aus allen herzlich danken, die Tadeusz Mazowiecki unterstützt haben. Ich bin überzeugt, sie haben für eine gute Sache gekämpft. Doch manchmal passiert es eben, daß eine gute und richtige Sache verliert. Wir haben dennoch das Gefühl, daß unsere Ideen und Argumente nicht verloren haben. Niederlagen sind für politische Lager immer schwer zu verkraften. Die einzige Medizin ist dann die Wahrheit. Wir haben, so mein Eindruck, das Gefühl für die Stimmung in der Bevölkerung verloren.
Der Erfolg von Stanislaw Tyminski muß uns aufwecken — es ist gut, daß das jetzt geschieht und nicht später. Wir haben es nicht verstanden, unsere Argumente zu erklären und die Leute zu überzeugen von unserer Philosophie der Veränderungen ohne Gewalt und Rache, evolutionär und rechtsstaatlich. In diesen Wahlen wurde die Politik der Regierung verworfen, die wir trotz allen kritischen Anmerkungen mit voller Überzeugung unterstützt haben. Wir sahen darin eine Chance für ein besseres Polen. Doch unsere Argumente haben sich angesichts der großen Emotionen, die durch die schwierigen Lebensbedingungen hervorgerufen worden waren, als machtlos erwiesen.
Heute jedoch wäre es für das Bündnis für Demokratie fatal, wenn wir anfingen, gegenseitige Verurteilungen auszusprechen und nach Schuldigen zu suchen. Statt dessen sollte uns bewußt sein: Nicht nur Tadeusz Mazowiecki und sein Lager haben verloren, sondern auch ein bestimmtes Reformprogramm zum Aufbau eines demokratischen Staates. Auch die rationale Argumentation hat im Streit mit aggressiver Rhetorik und Wunderglauben verloren. Unterdessen wird überhaupt kein Wunder geschehen, eher ein Unglück. Schon in wenigen Monaten wird sichtbar sein, daß wir recht hatten, als wir eine schwere Zeit prognostizierten. Dann offenbart sich auch, welchen Wert verschwenderisch vorgetragene Versprechungen von schnellem Wohlstand haben werden.
Der Reformprozeß der staatlichen Institutionen und der Wirtschaft ist bedroht. Polen steht vor Chaos und Niedergang. Wir ziehen keine unserer kritischen Anmerkungen an die Adresse von Lech Walesa zurück. Wir sind nach wie vor der Ansicht, daß seine Politik des „Krieges an der Spitze“ und der „Beschleunigung“ das Solidarność-Lager zerschlagen, die öffentliche Meinung desorientiert und katastrophale Auswirkungen mit sich gebracht hat. Doch jetzt ist er der einzige Kandidat, der in Frage kommt. Der Sieg Walesas birgt ein großes Risiko für Polen. Ein Sieg Tyminskis aber wird mit absoluter Sicherheit den Niedergang unseres Landes verursachen. Das polnische Reformwerk wird dann in einer ähnlichen Katastrophe enden wie die Idee des Großen Sejm und der Verfassung vom 3.Mai. (Anm. der Red.: Erste Verfassung Polens kurz vor den Teilungen 1791)
Was tun? Man muß das retten, was noch zu retten ist. Wir müssen — wie während dieses Wahlkampfes — eine Sprache der Verantwortung für den Staat sprechen. Wir dürfen nicht jene nachahmen, bei denen Engstirnigkeit und persönliche Ambitionen die Oberhand gewinnen. Deshalb müssen wir ganz offen erklären, daß das politische Lager von Mazowiecki jeder Regierung helfen wird, die Interessen Polens zu realisieren. Vor uns liegen Parlamentswahlen. Wir müssen den Appell von Tadeusz Mazowiecki aufnehmen und die Wahlkomitees in Strukturen des Bündnisses für Demokratie umwandeln. Im Augenblick hat dieses Lager verloren, sich zugleich aber aufgrund der Anstrengungen von Tausenden von Menschen in einer realen politischen Kraft konstituiert — die morgen schon in den Parlamentswahlen gewinnen kann. Adam Michnik
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